nachhaltige Mobilität Alpen

Quer durch die Alpen, Teil 3: Nachhaltig unterwegs

Es mag paradox oder vielleicht sogar heuchlerisch erscheinen, doch in meinem Umfeld kenne ich viele Menschen, die viel reisen – und die trotzdem ein großes Interesse an Umweltschutz und Nachhaltigkeit haben. Vielleicht liegt es daran, dass uns der Planet, auf dem wir leben, je mehr am Herzen liegt, desto mehr wir von seiner Schönheit gesehen haben? Oder wir wollen, anders herum, mehr sehen von dieser Welt, die wir ohnehin als wichtig und schützenswert erachten? Vielleicht hat es auch was Apokalyptisches – wer sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, der weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Gletscher und Wälder verschwinden oder gar ganze Städte und Inseln untergeht, und macht sich deswegen fix auf den Weg.

Egal, was der Grund ist – wir wissen alle, dass reisen schlecht für die Umwelt ist. Und um soziale oder ästhetische Folgen von Massentourismus zu erleben, reicht ein Blick ans Mittelmeer. Andererseits gibt es auf der ganzen Welt Länder, Regionen und Orte, deren Wirtschaft zu einem riesigen Teil vom Tourismus abhängt – oder bei denen der Tourismus einen großen Teil zur Entwicklung beiträgt. Die gute Nachricht für alle, die viel unterwegs sind: Es gibt nicht nur schwarz und weiß, und Zuhausebleiben ist nicht die eine Lösung.

Stattdessen bin ich davon überzeugt, dass unser Verhalten zu einem nachhaltigen Tourismus beitragen kann – und möchte mit diesem Artikel ein paar Gedanken dazu in den Raum stellen.

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Unterwegs in Bad Reichenhall

Sanft unterwegs in den Alpen

Anstoß zu diesem Text lieferten übrigens die Alpine Pearls, auf deren Mitgliederversammlung in Bad Reichenhall ich letztes Jahr war. Die Alpine Pearls sind ein Zusammenschluss aus 25 Gemeinden in den Alpen, die sich allesamt nachhaltige Mobilität zum Ziel gemacht haben. Die Idee ist, dass man selbst bei einer Reise in ländliche Gebiete das Auto zu Hause lassen kann – und trotzdem keine Nachteile hat. Vor Ort gibt es nicht nur ein gut ausgebautes Netz des öffentlichen Nahverkehrs, sondern häufig auch für Gäste teilnehmender Hotels die Möglichkeit, diesen kostenlos zu nutzen. Die verschiedenen „Perlen“ konzentrieren sich auf unterschiedliche Aspekte nachhaltiger Mobilität, die zu ihnen und dem von ihnen angebotenen Tourismuskonzept passen. So gibt es Orte, in denen man als Besucher einfach und teils kostenlos Fahrräder und E-Bikes leihen kann, in anderen Gemeinden gibt es stattdessen leihbare Elektro-Autos, damit Gäste vor Ort besser mobil sein können, und wieder andere fokussieren sich auf den Ausbau von Bus und Bahn, um das Verkehrsaufkommen zu entlasten.

Eine französische Gemeinde hat sich sogar eine Möglichkeit überlegt, Autostoppen organisiert und sicher zu machen – wie eine Art spontane Mitfahrgelegenheit. Wer teilnehmen möchte, registriert sich vorher online und steigt in ausgeschriebenen Zonen zu. All diese Ideen sind nicht nur praktisch für Besucher und gut für die Umwelt, sondern nützen auch den Einheimischen. „Wanderbusse“, Fahrradverleihservices und günstige ÖPNV-Anreisemöglichkeiten entlasten den Verkehr und sind natürlich nicht nur von den Touristen nutzbar. Klar, auch die Alpine Pearls sind noch nicht zu einhundert Prozent für nachhaltige Mobilität ausgebaut, aber man arbeitet daran – und man tauscht sich darüber aus. Da die Perlen in sechs Ländern liegen und ganz unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen – manche Perlen sind regelrechte Verkehrsknotenpunkte, andere liegen mitten in Nationalparks oder sind gar, wie das italienische Chamois, nur per Seilbahn zu erreichen und komplett autofrei – gibt es viele Möglichkeiten zum Austausch und zum gemeinsamen Lernen.

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Nachhaltige Mobilität

Nachhaltig unterwegs, das geht aber auch, wenn die Urlaubsziele keine derart guten Voraussetzungen mitbringen. Zunächst einmal sollte das eigene Urlaubsziel bzw. dessen Distanz grundsätzlich im Verhältnis zum gewählten Reiseziel und der Reisedauer stehen. Klar, die Preise von Ryanair & Co. verleiten einen geradezu dazu, mal eben für einen Tag nach Spanien, Italien oder England zu fliegen, es gibt immer mehr Billig-Angebote, um „als Auszeit vom Alltag“ für eine Woche in die Karibik zu hüpfen, und warum Bahnfahren, wenn innerhalb von Deutschland oder zu den Nachbarländern die Flüge doch viel günstiger sind?!

Aber, ganz ehrlich und mal vollkommen abgesehen von den ökologischen Folgen: Was bringt einem das? Wäre es nicht tausendmal schöner, sich für die Reiseziele Zeit zu nehmen? Anstatt einem Tag Mallorca in einer Woche auch die versteckten Ecken der Insel zu erkunden? Wäre es nicht viel entspannter, für den Karibikurlaub zwei oder drei Wochen einzuplanen, damit man wenigstens auch noch ein paar nicht Jetlag-geplagte Tage verbringen kann?

Wir müssen auch darüber nachdenken, was wir unserem Körper damit antun, wenn sich dieser für eine Woche an eine sechs oder sieben Stunden verschobene Zeit anpassen muss – und danach wieder zurück. Nach einer solchen Reise hat man zwar ein paar schöne Fotos mitgebracht und eine spannende Geschichte, die man im Freundeskreis erzählen kann, aber wenn man mal ehrlich ist, musste ein Großteil der Zeit dem Stress der An- und Abreise und der Zeitumstellung zum Opfer fallen.

Ich als Lateinamerika-Fan will niemandem sein Fernreiseerlebnis absprechen, im Gegenteil. Und natürlich weiß ich, dass nicht jeder den Luxus hat (oder auch die Lust darauf), wie ich mehrere Monate am Stück woanders zu verbringen. Aber zwei oder drei Wochen können selbst Vielbeschäftigte mit ein bisschen Planung im Voraus frei machen – wenn nicht, sollte man vielleicht ohnehin die eigene Arbeit und das damit verbundene Stresslevel hinterfragen.

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Reiseblogger und nachhaltige Mobilität

Und ich weiß, als Reisebloggerin setzt man sich dabei ziemlich in die Nesseln. Denn wir wollen ständig neue Orte sehen, um davon zu berichten, und wenn man eine Einladung zu einer Pressereise ans andere Ende der Welt bekommt, hat man quasi schon Glück, wenn die mehr als fünf Tage dauert. Aber es sagt einem ja niemand, dass man jede Einladung annehmen müsste – und häufig gibt es auch Möglichkeiten, Reisen auf eigene Faust zu verlängern. Letztendlich müssen wir uns, wenn wir authentisch und ehrlich von Reisen berichten wollen, auch immer fragen, welches Vorbild wir geben. Wenn wir schon zum Nach-Reisen und Nach-Erleben auffordern, wollen wir dann wirklich Menschen dazu anstiften, für ein paar Tage einen Transatlantikflug anzutreten?

Ganz grundsätzlich tun längere Reisen, wie ich festgestellt habe, auch den Artikeln gut – Stichwort langsames Reisen. Um zu erleben und zu erfahren, und das so tief, dass man später wirklich davon erzählen kann, anstatt bloß aufzulisten und nachzuplappern, braucht man einfach ein bisschen Zeit. Und wer neue Inhalte für den Blog und Social Media sucht, der muss ja keinesfalls ständig in die Ferne. Im Gegenteil, gerade in unserer Heimat kennen wir die besten Insider-Tipps und die schönsten Foto-Spots, die für uns vielleicht mittlerweile Routine geworden sind, für andere jedoch noch immer den Reiz des Unbekannten besitzen.

Nachhaltig vor Ort

Gerade in den Ländern des Globalen Südens ist Tourismus ein sensibles Thema. Einerseits profitieren viele Regionen davon, andererseits zerstört der Tourismus die Natur. Und letztendlich muss man sich die Frage stellen, wer genau eigentlich profitiert – kommt von dem Geld wirklich etwas bei den Einheimischen an, oder krallen sich den Großteil internationale Konzerne und ausländische Touranbieter? Wer individuell unterwegs ist anstatt im All-Inclusive-Urlaub ist dabei natürlich schon mal im ökologischen und sozialen Vorteil: Man kann Unterkünfte, Restaurants und Touren bewusst wählen. Dabei sollte man stets versuchen, so zu handeln, dass so viel wie möglich des eigenen Geldes im Land bleibt: Kleine, regionale Restaurants statt internationaler Ketten, von Einheimischen geführte Hotels und Hostels, Touren, die Einheimische involvieren oder sogar komplett von ihnen organisiert und geführt werden. Einen Schritt weiter geht man, wenn man beispielsweise Restaurants auswählt, von denen man weiß, dass sie mit regionalen Produkten kochen.

Nachhaltigkeit, was die Reiseplanung, den Aufenthalt und das Berichten hinterher angeht, hat natürlich so viel mehr Aspekte, die ich hier aus Platzgründen nicht alle auflisten kann. Das fängt damit an, dass man respektvoll mit dem Reiseziel und vor allem seinen Bewohnern umgeht und anerkennt, dass auch die „exotischsten“ Kulturen nicht zu unserer Unterhaltung existieren. Wir haben daher kein Recht, jemanden zu fotografieren, nur weil der- oder diejenige so wunderbar „anders“ aussieht oder auf so wunderschön traditionelle Weise Essen zubereitet. Und genauso sollten wir uns im Kontakt mit Einheimischen nicht einbilden, alles zu erkennen, zu verstehen und besser zu wissen, sondern einfach mal zuhören und akzeptieren. Im Berichten nach einer Reise spielt – meiner Meinung nach – antirassistische Sprache eine sehr große Rolle. Und auch Freiwilligenarbeit auf Reisen ist ein großes Thema, wenn es um Nachhaltigkeit geht.

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Weg vom „Geiz ist geil“

Ein wenig konkreter ist aber vielleicht folgender Gedanke: Viele Individualreisende versuchen, zu sparen, wo es nur geht – aber kleine, regionale Initiativen zu unterstützen, kann einem ruhig mal ein paar Euro mehr wert sein. Und gerade, wenn man in Ländern unterwegs ist, in denen eine Summe, die für uns wenig ist, einen großen Unterschied machen kann, dann kann man ruhig mal ein bisschen Trinkgeld geben oder lokalen Kunsthandwerkern etwas zur Unterstützung abkaufen.

Zu Letzterem muss ich ein bisschen ausholen und eine kleine Anekdote aus der Ferne erzählen: In Peru und Ecuador ist Betteln relativ verpönt – solange man noch etwas anderes tun kann. Daher sieht man auf der Straße normalerweise nur alte oder sichtbar kranke Menschen, die um Geld betteln. Alle anderen verkaufen Dinge – Süßigkeiten, selbst gebackene Kuchen, Krimskrams, kleine Handwerkserzeugnisse… Wenn in den Bus jemand einsteigt und um Geld bettelt, dann erzählt er vorher grundsätzlich eine Geschichte darüber, warum er absolut kein Geld hat (gestern überfallen, heute aus dem Gefängnis entlassen, …), die meist damit endet, dass er nur einen Dollar braucht, um sich eine Tüte Bonbons zu kaufen, deren Inhalt er dann einzeln weiterverkaufen kann, para selir adelante, um nach vorne zu kommen.

Am Anfang war ich verwirrt, wenn meine lateinamerikanischen Freunde hässliche Armbänder oder Holzfiguren irgendwo kauften: „Aber das ist doch überhaupt nicht schön?!“ – „Na und? Mir tun die paar Dollar nicht weh, und dem Mann helfen sie ungleich viel weiter. Und wenn er merkt, dass er etwas verkaufen kann, kommt er nicht darauf, zu klauen.“

Geld an der richtigen Stelle

Man mag die Sinnhaftigkeit dieses Geldkreislaufs grundsätzlich in Frage stellen, aber ich habe diese Einstellung mit der Zeit lieb gewonnen. Vielleicht noch nicht so lieb, dass ich mir wie meine Freunde die hässlichsten Erzeugnisse ins Zimmer stelle – aber wenn mir etwas sowieso gefällt oder ich gerade Lust auf etwas Süßes habe, warum nicht?! Menschen zu unterstützen, die sich ein eigenes, wenn auch extrem kleines, Unternehmen aufbauen, ist nicht verkehrt – und bringt vermutlich mehr, als Bettlern Geld zu geben. Kurzum: Auch wenig Geld kann an der richtigen Stelle viel bewirken. Und in dieser Hinsicht kann sogar ein einzelner Reisender im Leben eines anderen Menschen einen kleinen Unterschied bewirken.

Warum ich euch diese Geschichte erzähle? Zum einen, weil ich sie so sympathisch finde, dass ich sie regelmäßig auspacke, zum anderen, weil ich finde, dass man einen wunderbaren Vergleich ziehen kann. Denn bei allen Maßnahmen zur Nachhaltigkeit kann man sich natürlich immer denken: Ich alleine kann ohnehin nichts bewirken. Nur, weil ich in der Mitfahrgelegenheit sitze, hebt das Flugzeug trotzdem ab, nur weil ich in einem kleinen Restaurant esse, gibt es die großen Ketten weiterhin. Und nur, weil ich in einem Ort unterkomme, der sich für nachhaltige Mobilität einsetzt, gibt es weiterhin Hunderte, denen das Thema egal ist.

Ja, das stimmt, in dieser Hinsicht. Genauso, wie ich die Armut der Welt nicht bekämpfe, weil ich einem Straßenhändler etwas abkaufe. Man kann das Glas aber auch halb voll statt halb leer sehen – wenn man einmal von der anderen Seite her denkt: Genauso wie es im Leben des einen Händlers einen Unterschied machen kann, wenn ich bei ihm kaufe, unterstützte ich entsprechende Portale, wenn ich eine Mitfahrgelegenheit nehme – und bekräftige vielleicht jemanden dabei, auch in Zukunft wieder sein Auto zu teilen. Wer in einem kleinen, regionalen Lokal einkehrt, der hat sein Geld dort gelassen, wo es auch wirklich bei Einheimischen ankommt – und gleichzeitig ein Stück Lebensqualität am Urlaubsort unterstützt. Und wer in einem Ort unterkommt, in dem Nachhaltigkeit groß geschrieben wird, sorgt dafür, dass das in Zukunft auch so bleibt.

Ein bisschen Macht hat man eben doch, selbst als Backpacker – nutzen wir sie!

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Transparenzhinweis
In die Alpen wurde ich von Alpine Pearls eingeladen. Der Aufenthalt für Recherchezwecke war für mich kostenlos. Meine Begeisterung ist allerdings unbezahlbar – in diesem wie in allen Artikeln veröffentliche ich stets meine ehrliche Meinung.

3 Gedanken zu “Quer durch die Alpen, Teil 3: Nachhaltig unterwegs”

  1. Nachhaltig reisen ist wirklich schwer – da stoße ich regelmäßig auch an meine Grenzen, bzw. könnte auch mehr tun. Danke für deine Tipps. Das mit den lokalen Restaurants und wenn Fernreisen – dann länger – mache ich auch schon so. Beim Punkt Kurztrips in Europa mit dem Flugzeug müsste ich mich auch mal mehr am Riemen reißen. ..Liebe Grüße *thea

  2. Toller, wichtiger Artikel! Und Du hast vollkommen recht. Überhaupt sollte echt viel mehr langsam gereist werden. Unser Leben ist ja auch so schon schnell genug. Danke fürs Aufmerksam-Machen!

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