Schlagwort: Reisegedanken

Geschichten

Mein Herz schwankt

Ich habe kein Thermometer bei mir, aber ich bin mir sicher, das müssen mehr als 40 Grad sein. Daran, wann mir zuletzt so heiß war, kann ich mich nicht erinnern, Wasser in den Nacken, Hut auf, nichts scheint zu helfen. Die Sonne ist lebensfeindlich, gibt einem das Gefühl, in Flammen aufzugehen. Alles glüht, alles verschwimmt vor Hitze. Laufen, denken, atmen fällt schwer, alles passiert heute so viel langsamer als sonst. Selbst im Schatten tropft mir der Schweiß von der Stirn.

Der Sonnenuntergang taucht Lissabon in ein rosegoldenes Licht, das einem das Herz aufgehen lässt, entscheidet sich aber nicht dafür, die Temperaturen merklich zu reduzieren. Im Vergleich zu draußen ist es sogar in der U-Bahn angenehmer. „Wie schafft ihr das, hier zu leben?“ Noch kein Portugiese konnte mir diese Frage beantworten, vielleicht muss ich sie noch einmal stellen, wenn das Wetter freies Philosophieren wieder zulässt. Ich erinnere mich an meine letzte Reise nach Portugal, als mir die sanfte Fast-schon-am-Meer-Brise Lissabons nach Sevilla wie ein Kopfsprung ins kalte Wasser vorgekommen war. Ich bin wohl auch einfach nichts mehr gewohnt. Weiterlesen

Gedanken

Grenzgänge: Im Nirgendwo zwischen Ecuador und Peru

Lambayeque Peru

„Por qué será que los ecuadorianos son unos sinverguenzas?“, warum sind die Ecuadorianer nur so unverschämt? Die Grenzbeamte schüttelt den Kopf und sieht auf mich herunter. Ich zucke mit den Schultern und bete innerlich, sie möge mir doch einfach schnellstmöglich einen Stempel in den Pass drücken. Unverschämt, damit meint sie ein älteres Ehepaar, das gerade an die Beamte herantrat, um sich über die lange Warteschlange zu beschweren. Ein paar Meter weiter erneute Diskussionen, es geht tatsächlich darum, dass man zum Überqueren ein kleines Formular ausfüllen muss, das die Beamten sechsmal auf eine Seite gedruckt haben. Da es keine Schere gibt, um aus einem Blatt sechs zu machen und diese den Leuten in die Hände zu drücken, müssen erst mal alle in Ecuador bleiben, rechtlich zumindest, faktisch stehen wir schon auf peruanischem Boden. „Son unos sinverguenzas sí o no?“, sie sind unverschämt, oder?, schiebt die Frau hinterher und wirft einen bitterbösen Blick auf die Diskutierenden. Ich versuche zu beschwichtigen und erkläre, dass wir alle gestresst sind aufgrund der Schlange, die bis zur Straße hinaus reicht. Tatsächlich frage ich mich, wie es sein kann, dass das Fehlen einer Schere einen ganzen Grenzposten lahm legt.

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Geschichten

Da, wo die Wale geboren werden

Puerto Lopez Ecuador

Ich steige in ein Mototaxi und fühle mich angekommen. Der Wind, der die Haare zerzaust, der Staub, der durch die Ritzen kriecht, das Ruckeln auf den ungeraden Straßen, die die dreirädrigen Gefährte häufig zum äußersten Wanken bringen und sie manchmal auch umkippen lassen. Ich folge dem Rauschen des Meeres hinunter zum Strand, brauner Sand, graublaue Weite, helle Gischt. Fast niemand ist unterwegs, einsame Fischerboote wackeln auf den Wellen oder stehen verlassen im Sand, blau, grün und gelb getüncht, mit Zeichnungen von Fischen und religiösen Namen versehen. Welle um Welle erreicht den Strand und gleitet wieder zurück in den Pazifik, diese endlose Wassermasse, die mehr als ein Drittel der Erde einnimmt. Palmen schütteln ihre Blätter im Seewind, Pelikane halten mit eleganten Flügelschlägen dagegen. Obwohl keine Sonne scheint und es Winter ist, haut einen die Hitze einfach um, T-Shirts und Flip-Flops sind hier im gesamten Jahr der Dresscode, wobei: Die Herren verzichten auch gerne auf Letzteres und recken einem ihre Wampe entgegen. Träge liegt ein Hund am Straßenrand, wie so oft fragt man sich, ob er überhaupt noch atmet. Weiterlesen

Gedanken

Was wir wirklich meinen, wenn wir „authentisch“ sagen

Es gibt wohl im Bezug auf das Thema Reisen kaum ein Wort, das so inflationär verwendet wird und dennoch so sehr jeglicher Bedeutung entbehrt wie „authentisch“. Gerade Individualreisende und Backpacker scheinen hauptsächlich loszuziehen, um das zu finden, was „authentisch“ ist. Authentisches Essen, authentische Kleidung und authentische Menschen in einer authentischen Straßenszene. Manchmal kommt es mir so vor, als ob das Wörtchen längst zu einem Kampfbegriff geworden ist, gegen Pauschaltouristen, die in einer Palmen-Scheinwelt leben, gegen alle, die irgendwie „falsch“ reisen oder gar, huch, Urlaub machen!

Gerade bei Backpackern in Lateinamerika grassiert die Idee der Suche nach der Authentizität, nach dem Echten. Doch was ist eigentlich echt, wenn die gesamte Reiseindustrie im Prinzip Scheinwelten vermarktet? Ulrike vom Bamboo Blog hat zu einer sehr spannenden Blogparade aufgerufen – und ich möchte versuchen, ihre Ausgangsfrage zu beantworten: Authentizität auf Reisen, was ist das eigentlich? Weiterlesen

Gedanken

Gretchenfrage

Iglesia La Compania Quito

In Deutschland muss ich über Religion nicht diskutieren. Meine Freunde denken wie ich oder zumindest so ähnlich, sind vielleicht getauft und gar konfirmiert, waren aber zuletzt bei der Hochzeit der Cousine oder mit der Schulklasse in einem Gottesdienst. Die Kirche ist ein schwieriger Verein, denken wir, sie mag vielleicht Menschen Trost spenden, aber gleichzeitig ist sie eine Brutstätte für Machismen, seltsame Hierarchien und schlimme Dinge, die sich daraus ergeben. Meine Freunde, sie sind vielleicht gläubig, aber die meisten im Sinne von „Ich glaube an etwas, das da ist, nicht an eine Institution“, einige sind aus der Religion ausgetreten, der sie durch ihre Eltern angehörten, und diejenigen, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, wissen nicht einmal, warum der Pfingstmontag ein Feiertag ist.

Kurz gesagt: In Deutschland werde ich höchstens vom Finanzamt gefragt, welcher Religion ich angehöre. Glaube, oder in meinem Fall Nichtglaube, spielt absolut keine Rolle in meinem Leben. Meine Meinung zum Thema Religion kann ich so simpel halten, weil ich mich seit Jahren nicht mehr damit auseinandersetzen musste: Ich glaube höchstens an das Gute im Menschen, alle anderen können glauben, was sie wollen, solange sie damit niemandem Schaden zufügen.

Ganz anders ist das hier in Südamerika. Auf die eine oder andere Weise dringt die Religion hier in so viele Bereiche des Alltags ein, dass man auf einmal gezwungen ist, sich tiefer mit ihr auseinanderzusetzen. Eine kleine Suche nach Antworten – und eine große Verwirrung. Weiterlesen

Geschichten

Die kleinen Dinge

Quito Altstadt

Ich glaube, zwischen all den Neidisch-Mach-Fotos und abenteuerlichen Geschichten, zwischen den vielen neuen Facebook-Freunden und den Beweisen darüber, wie sehr man sich doch schon eingelebt hat, zwischen all dem fragt sich jeder, der für eine längere Zeit ins Ausland geht, an irgendeinem Punkt, warum er sich das eigentlich antut.

In Peru war dieser Punkt gekommen, als ich mir nach etwa fünf Monaten eine schlimme Mandelentzündung eingefangen hatte und meine Eltern verabschieden musste, die mich zwei Wochen lang besucht hatten. Damals war mein erster Wunsch, mit ihnen in den Flieger zu steigen. Weg von dem Stress und den Unannehmlichkeiten, weg von der langweiligen Arbeit und den komplizierten Freundschaften, wieder zurück in dieses grüne, saubere, leise und komfortable Deutschland, in dem einen einfach jeder versteht.

Nun, in Ecuador, habe ich diesen Punkt gleich bei meiner Ankunft erreicht. Anstatt gemeinsam mit anderen die ersten Tage lang zu Erkundungstouren zu starten und direkt Freunde zu finden, sitze ich in meinem Zimmer und gucke mir auf WhatsApp die Fotos von der Grillparty meiner Freunde an, zu Hause in Deutschland. Nach jetlagbedingten vier Stunden Schlaf verschwimmt alles vor meinen Augen. Weiterlesen

Geschichten

Der nicht ganz so geheime Blue Lake

„Da fahren wir heute hin!“, sagt mein Freund neben mir bestimmt und reißt mich aus meinen Gedanken. Während ich die Nase in unseren Wanderführer gesteckt habe, sitzt er mit dem Tablet in der Hand auf dem Bett und hält mir einen Blogartikel hin, der von einem Ort erzählt, den angeblich nicht einmal die Locals kennen: dem Blue Lake, einen durch Mineralien dunkelblau gefärbten See inmitten einer alten Schiefermine. Weiterlesen