reisen in Deutschland

Warum wir alle mehr durch Deutschland reisen sollten

Wer viel in der Welt unterwegs ist und sich traut, näher hinzusehen, der lernt viel über verschiedene Kulturen. Im Idealfall sind Menschen, die viel reisen, tolerant und haben nach jeder Reise ein differenzierteres Bild von der Welt. Wer etwas kennen lernt, hat schließlich normalerweise weniger Angst davor.

Vielen gilt dies sogar als ein Grund, warum sie immer wieder aufbrechen: Sie wollen sich dem Neuen, Ungewohnten aussetzen, Menschen mit ganz anderen Hintergründen kennen lernen und sich deren Geschichten anhören.

Und so haben viele von uns keine oder kaum Vorurteile, was fremde Länder angeht. Das ist gut so.

Deutschland als Reiseziel

Doch leider scheinen der Wunsch nach dem kennen lernen, die Freude am Ungewohnten und Unbekannten und die Lust an Begegnungen an der Grenze des eigenen Heimatlandes Halt zu machen.

Klar, Deutschland als Reiseziel ist heute beliebter denn je. Doch wenn wir in Deutschland reisen, dann sind wir begeistert von der Natur. Instagram & Co. sind dank @munichandthemountains und anderen tollen FotografInnen voll von der Begeisterung für Alpen, Sächsische Schweiz oder den Bayerischen Wald. Wir entdecken die Halden des Ruhrgebiets neu oder die Burgen im Rheinland.

Reisen in Deutschland, daheim, das ist für die meisten kein Reisen mehr, sondern Urlaub. Reisen, das erfordert schwierige Aufenthalte in schwer zugänglichen Gebieten, die Verständigung in fremden Sprachen, zermürbende Langzeitbusfahrten oder gefährliche Abenteuer – in unserer Vorstellung zumindest. Deutschland scheint uns beinahe frustrierend vertraut. Haben wir uns nicht schon im Erdkundeunterricht lieber mit Anbaumethoden in den Tropen beschäftigt als damit, die Hauptstädte der deutschen Länder auswendig zu lernen?

Burg Eltz

Tiger and Turtle

Alt und neu: Blick auf Burg Eltz (Rheinland-Pfalz) und die Kunstinstallation Tiger & Turtle (NRW)

Wenn Witze und Vorurteile wieder „in“ werden

Wir reisen gern durch unsere Heimat, aber wir haben das Gefühl, dort nichts mehr erkunden und kennen lernen zu müssen. Gespräche mit Einheimischen, die wir im Ausland feiern, können wir daheim schließlich auch umgehen – kennen wir ja zur Genüge. Der Versuch, andere Regionen auch über Nachrichtenberichte hinaus zu verstehen, erscheint uns in Deutschland sinnlos, wir wissen schließlich ganz gut, was hier so passiert. Und wie die Menschen in welcher Region ticken, das glauben wir ebenfalls zu wissen.

Vorurteile über die verschiedenen Regionen Deutschlands sind in den vergangenen Monaten aufgrund diverser politischer Ereignisse wieder „in“ geworden.

In Westdeutschland wird niemand kritisiert, der „die Ostdeutschen“ als grundsätzlich sächselnd, dumm und – natürlich – rassistisch darstellt. Das geht so weit, dass nach den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern ein bekannter Journalist seinen Reiseboykott verkündete und einiges an Zuspruch bekam.

„Die Bayern“ sind natürlich nicht viel weniger rassistisch, wählen alle unhinterfragt CSU und sprechen Dialekte, die woanders niemand versteht. Münchner und Düsseldorfer sind schnöselig und oberflächlich, die Thüringer ziemliche Hinterwäldler. Die Menschen in Hannover sind so langweilig wie ihre Stadt, die Schwaben sind nicht nur geizig, sondern sprechen auch noch kein Hochdeutsch, und, naja, vom Saarland brauche ich wohl gar nicht erst anzufangen. In Plattenbausiedlungen leben nur „Assis“, und nachts sollte man sich dort eher nicht auf die Straße trauen. Und auf dem Land sind sowieso alle Geschwister.

Pfronten Maifeld

Bruchhauser Steine

Hoch, flach und hügelig: Das Maifeld (Rheinland-Pfalz), das Allgäu (Bayern) und die Bruchhauser Steine im Sauerland (NRW)

Hinter die Kulissen blicken

Klar, wir meinen das ironisch, in vielen Fällen ist auch ein Fünkchen Wahrheit daran, und an sich ist auch nichts Schlimmes dabei, wenn es zwischen den verschiedenen Regionen eines Landes kleine Sticheleien gibt. Wäre ja sonst auch ein bisschen langweilig.

Das Traurige ist jedoch, dass wir uns bei unseren Reisen durch Deutschland nicht die Mühe machen, hinter Kulissen und Vorurteile zu blicken. Dabei hätten wir alle Voraussetzungen dafür – wir sprechen die selbe Sprache, wir verstehen viele Zusammenhänge und teilen eine Kultur. Wir können Fragen stellen ohne Sprachbarrieren (ganz ehrlich, wenn sich beide Seiten anstrengen, verstehen wir auch Dialekte) oder kulturelle Peinlichkeiten.

Wir haben alle Möglichkeiten, doch hinterher verhalten sich der Niedersachse in den Alpen oder, anders herum, der Bayer an der Nordsee, viel zu häufig wie der klassische Tourist im All-Inclusive-Resort in der Türkei: Er nimmt die Orte, die er besucht, höchstens als Kulisse seiner Ferienentspannung wahr.

Von Gesprächen mit den Einheimischen in Peru oder Marokko zu berichten, ist natürlich „sexier“ als von Gesprächen mit Sachsen oder Syltern. Aber häufig ist es nicht weniger spannend – solange wir bereit sind, uns darauf einzulassen, unsere eigenen Klischees hinten anzustellen, solange wir es wagen, Menschen Gehör und Glauben zu schenken, die uns von ihrer eigenen Realität erzählen.

Augsburg

Burgblick

Blick über Stadt und über Land: Augsburg (Bayern) und Blick von der Leuchtenburg (Thüringen)

Reisen in Deutschland

„Abenteuer gibt es doch eh nur noch im Globalen Süden“, so denken einige Vielreisende. Und klar, das Reisen in Mexiko oder China ist aufwändiger, schwieriger, „krasser“ als in Mitteleuropa.

Aber Abenteuer hängen auch von der eigenen Art zu reisen und von der persönlichen Einstellung ab, nicht ausschließlich vom Reiseziel. Wer durch Deutschland trampt, hat wahrscheinlich abenteuerliche Erlebnisse als jemand, der eine Rundreise durch Kasachstan bucht. Wer einen der vielen Fernwanderwege in Deutschland entlangläuft, mag sich persönlich stärker weiterentwickeln als in seinen bisherigen Reisen durch die ganze Welt. Und wer sich offen mit den Menschen unterhält, bringt vielleicht mehr Erkenntnisse mit nach Hause, als wenn er nach Thailand gereist wäre.

Die Vorurteile, die ich oben genannt habe, zeigen auch einen Vorteil auf: Deutschland ist unglaublich vielseitig und kann mit den verschiedensten Landschaften, Städten und Regionen aufwarten. Auch, wenn wir das nicht immer wahrhaben wollen: Es gibt nicht so viele Länder auf der Welt, die sowohl Meer als auch über 2.000 Meter hohe Berge vorweisen können. Oder so viele Großstädte mit so unterschiedlichen „Vibes“ wie Berlin, Hamburg und München auf der Landkarte verzeichnen. Oder in denen Orte mit zweitausendjähriger Geschichte in direkter Nähe zu Renaissance-Städten oder solchen, die im Rahmen der Industrialisierung entstanden, liegen.

Und, ganz ehrlich, auch, wenn wir gern auf der ganzen Welt Abenteuer erleben: Ist es nicht auch mal schön, in einem sicheren, geregelten Land unterwegs zu sein, dessen Sprache wir verstehen?

Ein kleines Plädoyer

Daher mein kleines Abschlussplädoyer: Lasst uns mehr in Deutschland reisen. Lasst uns Fragen stellen, lasst uns mit Menschen aus dem ganzen Land sprechen und ihnen und ihren Ansichten wirklich zuhören. Lasst uns unsere Vorurteile für einen Moment vergessen und die verschiedenen Lebensrealitäten in unserem Heimatland akzeptieren und zu verstehen versuchen.

Hochlandrind

Hamburg

Wild und gezähmt: Hochlandrind im Teutoburger Wald (NRW) und Blick auf den Hamburger Hafen

Und ein negativer Text wie dieser wäre unvollständig ohne ein paar positive Abschlussworte – die ich diesmal allerdings anderen überlassen möchte. Hier also eine Liste wunderbarer Blogartikel aus und über Deutschland:

21 Gedanken zu “Warum wir alle mehr durch Deutschland reisen sollten”

  1. Ein sehr schöner Beitrag, dem ich voll und ganz zustimmen kann! Urlaub in Deutschland ist spannend und lohnt sich absolut. Wir sind manchmal einfach nur blind dafür, wie vielseitig unsere Heimat ist. 🙂

  2. Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen. Schön und treffend geschrieben, Ariane!
    Ich war bei unseren beiden Test-Wochenenden für den Camper auch mal wieder erstaunt und positiv überrascht, wie spannend das Naheliegende doch sein kann, in dem Fall die Orte Monschau in der Eifel und Paderborn. Auch jetzt an der Nordsee hatte ich wieder lustige und interessante Begegnungen. Ich habe zB erfahren, dass es dort eine Ossi-Torte gibt, denn dort oben heißen die Ostfriesen Ossis, und nicht die Ostdeutschen. Auch wenn das Entdecken anderer Länder toll ist und ich für mein Leben gerne andere Sprachen spreche, muss es trotzdem nicht immer „höher, schneller, weiter“ sein, um tolle Reisemomente zu erleben.

  3. Hallo Ariane,

    deinen Artikel unterschreibe ich so voll und ganz. Seit wir auf Weltreise sind und ich etwas mehr Zeit habe, um all die tollen Reiseberichte aus Deutschland zu lesen, möchte ich nach unserer Rückkehr dort auch mehr auf Erkundungstour gehen!

    Zum einen hat es die von dir angesprochenen Vorteile (gemeinsame Sprache, Kultur, etc.), aber auf der anderen Seite finde ich deinen anderen Aspekt auch sehr wichtig; das Abbauen von Vorurteilen.

    Liebe Grüße aus dem sonnigen Costa Rica
    Chris

    1. Vielen Dank! 🙂 Ich habe tatsächlich auch erst damit angefangen, durch Deutschland zu reisen, als ich aus Peru zurückkam 😉 Irgendwie braucht es manchmal erst mal diesen Klick-Moment, wenn man lauter Nicht-Deutsche trifft, die schon mehr von Deutschland gesehen haben als man selbst 😉

    1. Danke 🙂 Ja, vor der Haustür wandern ist doch eigentlich das schönste – man weiß, man kann immer ganz unkompliziert zurückkommen!

  4. Das Hannover hässlich ist, begegnet mir ja recht häufig. Das es hier auch noch langweilig sein soll, ist mir neu 😀
    Als ich 2014 5 Wochen durch Deutschland reiste, bin ich in Orten gelandet, bei denen ich wirklich dachte: Wow, das ist Deutschland? So schön haben wir es hier? Deutschland hat wirklich so viele schöne Orte zu bieten und ich könnte sofort nochmal 5 Wochen aufbrechen, denn ich habe lang noch nicht alles gesehen!

    1. Haha, vielleicht waren das auch nur Vorurteile, die in meinem Kopf existieren 😉 Fünf Wochen ist echt beeindruckend – ich nehm die Deutschland-Reiseziele meistens eher in kleinen Häppchen mit. Ich muss mich da nochmal durch deine Artikel klicken 🙂

  5. Vielen Dank für diesen tollen Artikel, den ich voll und ganz unterschreiben kann! Ehrlich gesagt, ich habe noch nie zu den Menschen gehört, die vom großen Fernweh geplagt werden… Ich bin sehr gern in Europa, vor allem in Skandinavien, unterwegs, aber wir reisen gern und viel durch Deutschland und sind vor allem viel in der Natur unterwegs. Dafür finde ich das Klima hier auch viel angenehmer als in Marokko, Vietnam oder Australien. Und hier gibt’s auch keine giftigen Krabbeltiere 🙂

    1. Ja, das stimmt, das Reisen in der Nähe hat wirklich viele Vorteile. Wobei ich die Stechtier-Plage in Skandinavien auch ziemlich furchtbar finde 😀

  6. Ich bin sowas und voll und ganz deiner Meinung!
    Deutschland ist so wunderschön, so wie jedes Land seine schönen Seiten hat und wir schätzen das manchmal viel zu wenig. Ich bin jetzt auch drauf und dran eine eigene Kategorie auf meinem Blog zu eröffnen. Und sowieso mit Mutti und Oma seit diesem Jahr dran, mehr von meiner Heimat und der Umgebung kennen zu lernen.
    Auf der Burg Eltz waren wir vor gut zwei Wochen und es war einfach märchenhaft. Generell Burgen habe ich schon viele in meinem Leben besichtigt, vor allem wenn Freunde aus dem Ausland zu Besuch waren.
    Klasse Post, meine Liebe!! ♥

  7. Vor zwei Jahren haben wir drei Wochen (!) in der Eifel Urlaub gemacht. Viele Freund*innen waren „entsetzt“. Ich kann nur sagen, ich habe mich noch nie so gut erholt! Ich fahre auch gerne nach Namibia, Kanada oder bin gerne am Mittelmeer, aber diese Urlaub war auch spannend und wir haben eine schöne sanfte Landschaft erlebt.
    Und dann gibt es ja noch die schöne Ostseeküste!!

    1. Wow, drei Wochen sind auch echt eine lange Zeit – da schafft man es dann wirklich, mal runterzukommen. Umso mehr, wenn nicht zwei Tage für die Anreise draufgehen. War bestimmt super 🙂 Danke für deinen Kommentar!

  8. Über Reiseziele in Deutschland habe ich auch erst gebloggt. Wir haben zwar unsere Schubladen, in die wir Sachsen, Bayern, Friesen und Berliner stecken, aber was wir oft vergessen: Deutschland ist kulturell enorm vielfältig. Genauso wie historisch – in kleinräumigen Ecken wie zB Franken (da kenn ich mich halt zufällig aus :D) hat quasi jede Stadt, jeder Ort eine andere Geschichte hinter sich. Oft sogar noch eine andere Konfession, andere Bräuche, manche haben gewisse Feiertage, der Nachbarort nicht etc.

    Deshalb: Ja, man sollte auch mehr in Deutschland reisen. Für mich gehts – ganz unabhängig von Wahlen und Politik – nächstes Jahr wahrscheinlich nach Meck-Pomm.

    LG, Ilona

  9. Ich habe das nahe Reisen auch für mich entdeckt. Selbst mein eigenes Bundesland, in dem ich aufgewachsen bin, bietet dabei noch so viel zu entdecken und zu erleben – da wird einem eigentlich nicht langweilig. Nächste Woche fahre ich zum Beispiel nach Lübeck; theoretisch ein Katzensprung, praktisch fährt man aber so gut wie nie hin. Schöner Artikel!

    Herzlich,
    Anna

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