Allgegenwärtig ist das Rauschen der Wellen in Huanchaco, man hört es, wo man geht und steht, man gewöhnt sich daran und doch zaubert es einem ein Lächeln aufs Gesicht, wenn man es wieder bemerkt, allein die Vorstellung: Da draußen, keine zweihundert Meter entfernt, liegt der Pazifische Ozean, so groß wie alle Kontinente der Welt zusammen, da vorne liegt mehr als die Hälfte des Wassers, was es auf dieser Erde gibt. Immer hätte ich gedacht, in den Bergen, in der Natur, fühlt man sich klein, doch das geht auch am peruanischen Pazifikstrand.
Huanchaco, der Strandort nahe der nordperuanischen Stadt Trujillo, ist vor allem unter Surfern ein Begriff. Seit 2013 ist das Städtchen von der NGO Save the Waves als „World Surfing Reserve“ anerkannt, dabei war Huanchaco der erste Ort in Lateinamerika und der fünfte weltweit, der diese Anerkennung erhielt. Im Sommer finden hier Surf-Wettkämpfe statt, wobei nicht nur „normale“ Bretter zum Einsatz kommen, sondern auch die traditionellen caballitos de totora, bogenförmige, bis zu fünf Meter lange Schilfboote, die wahrscheinlich schon vor 3.000 Jahren in Nordperu entwickelt wurden – und deren Design sich bis heute nicht verändert hat. Während die präkolumbischen Kulturen Nordperus mit den Booten zum Fischen aufs Meer fuhren und dafür so auf den caballitos saßen, dass beide Beine ins Wasser hingen, stellen sich Sportler heute auf die Gefährte und nutzen sie als Surfbretter.
Touristen, die nicht surfen, kommen zum Baden nach Huanchaco. Oder sie werden im Rahmen einer Tour abends an der Strandpromenade ausgesetzt und nach dreißig Minuten wieder eingesammelt, beklagt sich am Abend vorher Paul bei mir, der in der Altstadt von Trujillo ein Café besitzt. Die Region habe viel zu bieten, doch beinahe alle Touristen unternähmen die immergleiche Tour durch die verschiedenen Prä-Inka-Ruinen um die Stadt herum, die in Huanchaco ende.
„Was willst du denn dort, fängst du jetzt an zu surfen?!“, war daher auch die ungläubige Frage, wenn ich von meinem Reiseziel erzählte. Verständlich – da ich ziemlich wasserscheu bin, kann man sich mich vermutlich schlecht auf einem Surfbrett vorstellen, und noch schlechter auf einem Schilfboot. „Nö, ich will da einfach sein“, war meine kurze Antwort. Ich wollte Wellenrauschen in den Ohren und Sand zwischen den Zehen, zumindest für zwei Tage.
Von Trujillo aus reist man in zwanzig Minuten mit dem Taxi an und fährt dabei nicht nur an den Ruinen von Chan Chan, sondern auch an einer Militärakademie vorbei. „Da, auf der Schule war ich!“, erklärt mir der Taxifahrer stolz und berichtet mir genauestens von den Misshandlungen, die er dort ertragen musste, von älteren Schülern und von den Lehrern. Peru hat eine ungesunde Beziehung zum Militär und Militärschulen genießen dort einen guten Ruf, obwohl – oder gerade wegen – der dort herrschenden Gewalt. Der bekannteste Autor des Landes, Nobelpreisgewinner Mario Vargas Llosa, hat in einem seiner ersten Werke, Die Stadt und die Hunde, eigene Erfahrungen in einer Geschichte über Misshandlungen und Mord in einer Militärschule verarbeitet. „Klingt wie bei Vargas Llosa“, werfe ich daher ein, und habe wohl einen Nerv getroffen. „Ja, manche Leute sind schwach, die stehen so eine Schulzeit nicht durch! Vargas Llosa auch, er ist schwach!“ Der Fahrer muss meinen entsetzten Blick im Rücken gespürt haben, denn er schiebt hinterher: „Jetzt bin ich Pazifist. Aber ich finde, so etwas formt den Charakter, gerade die Misshandlungen!“ So unangebracht es ist, ich muss lachen. Pazifisten sind die meisten Peruaner, laut Eigenaussage, und jubeln doch auf Paraden den Panzern und Soldatenformationen zu. Als Deutsche werde ich das wohl niemals verstehen können.
Vom Pazifismus kommen wir zur Kriminalität, und er erzählt mir ausführlich, wie gefährlich Huanchaco ist. „Schau, wie krass die hier ihre Häuser sichern!“ Ich kneife die Augen zusammen und begutachte die hohen Mauern und Stacheldrahtbegrenzungen. So sieht es doch überall in Peru aus, oder etwa nicht?! Und wenn mir das schon so ein charakterlich gestählter Taxifahrer erzählt?! Den ersten Abend verbringe ich daher im Hostel. Auch nicht die schlechteste Entscheidung – das Frog’s Surf Hostel ist vielleicht das schönste und entspannteste Hostel, in dem ich jemals war. Ich schlage meinen Laptop auf und gucke mit den anderen Gästen ein paar Folgen Simpsons, den Sonnenuntergang kann ich von der Dachterrasse aus genießen. Nachts wiegt mich das Wellenrauschen sanft in den Schlaf.
Am nächsten Tag sieht die Stadt schon schöner aus, die Sonne brennt auf den Strand. Winter ist es hier, das heißt, es hat „nur“ um die fünfundzwanzig Grad, die sich in der Sonne trotzdem anfühlen wie vierzig. Huanchaco ist klein, das Leben spielt sich um die Strandpromenade herum ab, es gibt viele Restaurants, die alle Fisch anbieten, ein paar Souvenirverkäufer, auf Wikipedia wird eine Kirche angepriesen, aber wer will die sehen? Hier ist das Meer Sehenswürdigkeit genug, und wem die monotonen Wellen, die auf den Strand zurollen, zu langweilig sind, der schaut eben den Surfern zu, an einer Ecke trainieren die Anfänger, an einer anderen die Profis, halten Ausschau nach der perfekten Welle, schwingen sich mit einem Satz aufs Brett und gleiten dann die Gischt entlang, bis es irgendwann vorbei ist und sie wieder im Wasser landen, die einen früher, die anderen später, die einen kopfüber, die anderen eleganter.
Abends werden hier in der Nebensaison die Bürgersteige hochgeklappt, Essen gibt es in den meisten Restaurants allerhöchstens bis nachmittags. Aber es gibt Vegetarisches, Pizza und Burger, und letztere sind die besten, die ich bisher in Peru gegessen habe. Huanchaco hat vielleicht nicht den Charme von Puerto López, wo morgens die Fischer noch immer ihren Fang auf dem Strand darbieten, und vielleicht nicht das alternative Hippie-Flair von Barranco, wo die Wege zum Meer von Street Art gesäumt sind. Aber Huanchaco ist ruhig und beschaulich, es bietet einem die Möglichkeit, Urlaub zu machen anstatt zu reisen, und in einem chaotischen und anstrengenden Land wie Peru ist das eine Seltenheit. Gleichzeitig ist Huanchaco kein Ort, an dem einem der internationale Tourismus mit der Faust ins Gesicht schlägt, wie das zum Beispiel in Cusco der Fall ist. Hier kann man entspannt am Strand sitzen, ohne alle fünf Minuten angesprochen zu werden, hier kann man zusehen, wie sich der Tourismus langsam etabliert; wie viele Menschen versuchen, dafür zu sorgen, dass Besucher länger bleiben als die dreißig Minuten, die die Ruinen-Tour dafür vorsieht.
Es gibt Orte, die sind zum Bleiben da. Ich mache dafür immer einen einfachen Test: Könnte ich mir vorstellen, mich hier niederzulassen und einen Roman zu schreiben? In Huanchaco ist die Frage nicht schwer zu beantworten.
Übernachten
Das Frog’s Hostel in Huanchaco ist ein absoluter Traum. Die Besitzer, ein deutsch-peruanisches Paar, haben sich richtig ins Zeug gelegt und eine wunderschöne Oase inklusive Dachterrasse und Yoga-Fläche mit Blick aufs Meer geschaffen, zehn Fußminuten vom Zentrum des Ortes entfernt und damit wunderbar ruhig. Es gibt Einzel- und Doppelzimmer sowie Schlafsäle. Die Zimmer sind einfach, haben Blick aufs Meer und kosten zwischen 6 Euro für ein Schlafsaal-Bett und 20 Euro für ein Doppelzimmer. Dazu gibt es eine Küche und Fahrräder, die man benutzen kann, sowie den Kontakt zu einer Surfschule. |
Essen
Die meisten Restaurants in Huanchaco verkaufen sehr leckeren Fisch. Wenn man den nicht mag (oder nicht mehr sehen kann), gibt es als Alternative sehr gute Burger im Surfer Burger. Besonders gut soll auch die Pizza bei Bassano sein, die ich leider nicht probieren konnte. Vegetarisch-veganes Essen mit Meerblick gibt es im Otra Cosa. |
Anschauen
Huanchaco ist ein wunderbarer Ort, um einfach mal auszuspannen und die Seele baumeln zu lassen. Wer schon immer mal surfen lernen wollte, hat hier außerdem die perfekte Möglichkeit dazu – Profis ergehen sich in langen Erklärungen, warum die Wellen in Huanchaco so toll und gerade auch für Anfänger geeignet sind. Außerdem liegt Huanchaco nahe der Ruinen von Chan Chan, die man besichtigen kann. Auch Trujillo ist nur eine kurze Busfahrt entfernt und lockt mit einer schönen Altstadt. |
Transparenzhinweis |
Die Übernachtungen im Frog’s Hostel wurden mir kosten- und bedingungslos zur Verfügung gestellt. Meine Begeisterung ist allerdings unbezahlbar – in diesem wie in allen Artikeln veröffentliche ich stets meine ehrliche Meinung 🙂 |
Das klingt tatsächlich nach einem Ort, an dem es sich aushalten lässt. Auch wenn mir die Militärschule-Prügel-Geschichte natürlich ein wenig Kopfzerbrechen bereitet… Deine Fotos und Worte hingegen laden mal wieder zum träumen ein und haben mich mal wieder nach Peru entführt. 🙂
Klingt hübsch.
Ich will ja unbedingt mal nach Hawaii und alle immer: willste da surfen lernen? Und ich: Nein, ich will durch die Urwälder wandern und noch so vieles mehr.
Vielleicht würde ich mich am letzten Tag mal auf ein Brett wagen, aber ich hätte nur Angst, dass ich mir dabei alle Knochen breche 😀 Darum ziehe ich im Sand sitzen und Surfer beobachten dem Surfen selbst auch eindeutig vor 😉
Öhm… ist mein vorheriger Kommentar jetzt weg? :/
Hallo Ariane,
ich war 2010 fast 2 Wochen in Huanchaco und ehrlich gesagt: Es hätten auch 4 sein können. Oder 8. Oder noch länger – für mich definitiv ein Ort zum Bleiben! Ich hab es geliebt und fand es suuuper entspannend. Allerdings hab ich tatsächlich täglich gesurft, als echte Wasserratte 😉 Ich würde sofort wieder hin und wieder lange bleiben!
Ich war damals in einem Hostel, dessen Besitzer wohl Alkoholiker war, wenn der abends zu viel getrunken hatte, hat er sich immer mit seiner Frau und seinen Kumpels gefetzt… damals fand ich das nicht sooo witzig wie jetzt 🙂
Liebe Grüße, Anne
Hi Ariane,
ich bin seit 2 Wochen in Huanchaco und bleibe auch noch 3 weitere. Ich empfinde Huanchaco genauso, wie du es beschrieben hast! Ich will demnächst mal versuchen mich mit einem Surfboard anzufreunden… 😀 Ich musste eben lächeln, denn auch ich bin im Frog’s und arbeite hier nebenbei an der Rezeption. Könnte hier immer wieder herkommen, da die Atmosphäre einfach toll ist.
Ich liebe deine Bilder! 🙂
Liebe Grüße,
Luisa