Hohe Tatra Wanderung Winter

Regenbogen und Zuckerwatte

Winterjacke und Schal blieben daheim, die Vögel sangen in der Dämmerung: Irre ich mich, oder ist zwischenzeitlich über Nacht Frühling geworden? Jetzt schneeregnet es wieder und das Wetter scheint auch in den nächsten Tagen nicht weniger ungemütlich zu werden. Blog-technisch passt mir das ganz gut, denn ich habe immer noch nicht meine Winter-Fotos hier geteilt. Zeit wird’s – zum Winterwunderland bitte einmal weiterlesen!

Die Hinfahrt lang, die Ankunft kalt. Einmal quer durch Polen sind wir gefahren, mit Stopp im Einkaufszentrum am Rande von Breslau – eine wirklich warme Winterjacke für den Herrn muss her. Mit dem eigenen Auto durch Polen, ist das nicht ein bisschen wahnsinnig? Wer solche Fragen stellt, offenbart wohl mehr über seine beschränkte Weltsicht als über die Sicherheit des geplanten Reiselands, und doch: Polen bemüht sich bereits auf den ersten Kilometern, unsere Klischees zu bestätigen. Auf der linken Autobahnspur bleibt plötzlich ein Auto stehen und fährt ruckartig ein paar Meter rückwärts, Ausfahrt verpasst. Immer wieder stehengebliebene Autos auf dem Seitenstreifen, manchmal mit offener Motorhaube und ratlosen Gesichtern davor, einmal sind ein paar Jugendliche aufs Dach geklettert.

Wir fahren ein- und dieselbe Autobahn von Jena über Dresden bis Breslau, erst, als wir der Grenze zur Slowakei näher kommen, geht es auf kurvigen Straßen durch die nächtliche Berglandschaft, vorbei am Lichtermeer der noch nicht abgehängten Weihnachtsdeko. Dieser Teil von Polen ist das Beleuchtungswunderland, an jeder Ecke Glimmern und Funkeln in einem neuen Rhythmus, in einer neuen Farbe, Hauptsache grell, und an manchen Stellen leuchten sogar die Begrenzungsmarker der Straße. Ich bin froh, dass ich nicht mehr fahren muss, mir verschwimmt alles vor den Augen vor lauter Hell und Dunkel im Wechsel. Langsam kommen wir immer öfter an beleuchteten, beschneiten Skipisten vorbei, an Restaurants mit künstlichen Eiszapfen an der Veranda, an künstlichen Eisflächen zum Schlittschuhlaufen, das Winterwunderland schlägt einem mit der Faust ins Gesicht, und das, obwohl nicht einmal echter Schnee liegt.

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In dem Dorf, in dem wir ankommen, ist es hingegen ganz dunkel, wir finden die Adresse erst nicht und halten an einem heruntergekommenen Sanatorium, dessen Rollstühle hinter beleuchteten Fenstern entfernt für Horrorfilm-Stimmung sorgen. Glücklicherweise werden wir bald abgeholt von unserem Airbnb-Host, und bekommen in der warmen Küche direkt Schnaps und Bier angeboten. Ausschlagen geht nicht, auch nicht nach der langen Fahrt, da ist Miroslav konsequent, und tischt nach jeder leeren Flasche ein neues Getränk auf. Seine Küche hat er komplett mit verschiedensten Kalendern dekoriert, die von Kunst über historische Bahnstrecken bis hin zu Fotos alles Mögliche zeigen: „So sehen meine Wände jeden Monat ganz anders aus!“ Irgendwann liegen wir dann doch im Bett und ich grüble noch eine Weile darüber nach, ob das mit den Kalendern genial oder doch ein bisschen merkwürdig ist, aber vielleicht liegt das auch an einem Glas Bier zuviel.

Der nächste Tag weckt uns mit strahlend blauem Himmel und eisigem Nieselregen, der einen wunderschönen Regenbogen zwischen die Berge gezeichnet hat. Zum ersten Mal sehen wir die schneebedeckten Gipfel auf der einen, die weite Ebene mit den Hügeln im Hintergrund auf der anderen Seite, und könnten bei diesem Ausblick ewig in der Küche sitzen bleiben. Von Miroslav haben wir eine Wanderkarte bekommen und uns eine Tour ausgesucht, nicht zu lang, schließlich wird es schon zwischen vier und fünf stockfinster und dann möchte ich keinen Berg mehr herunterlaufen. Frohen Mutes geht es los, erst am heruntergekommenen Sanatorium vorbei, das, wie die blassen Holzdekorationen beweisen, einst ein herrschaftliches Gebäude gewesen sein muss, dann immer bergauf.

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Die Berggipfel, die wir erklimmen wollen, liegen in dichtem Nebel, man sieht die Berge nur zur Hälfte. Doch wir laufen nicht nur dem schlechten Wetter, sondern auch dem Regenbogen entgegen, der sich, mal stärker, mal schwächer, quer über die Landschaft spannt. Je höher wir kommen, desto mehr Schneereste liegen links und rechts des Weges. An manchen Stellen ist der Weg so vereist, dass ich nur in kleinen, unsicheren Schritten weiterkomme. Doch die Bäume um uns herum sind strahlend grün. Am Ende laufen wir durch zehn Zentimeter Schnee, bergauf ist das ganz schön anstrengend. Dazu der immer stärker werdende Wind, der uns kleine Tröpfchen aus dem schmelzenden Schnee ins Gesicht weht – irgendwann weiß ich gar nicht mehr, ob ich überhaupt noch an der Berghütte ankommen möchte, die Miroslav uns empfohlen hat.

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Die Hütte ist schließlich ein besserer Plattenbau, der im abrupten Kontrast zur Landschaft steht. Noch immer, auch hier oben, können wir von den Bergen vor uns nichts erkennen, der zugefrorene See passt sich grau in grau der Wetterstimmung an, auch Regenbögen sind hier keine mehr zu sehen. Stattdessen wirbelt der Wind kleine Eisstückchen auf, die sich im Gesicht wie Nadeln anfühlen. Wirklich kein Ort, um lange zu verweilen.

Weiter geht es einen schmalen Weg die Bergkette entlang, und schnell wird es freundlicher. Irgendwann sind wir in strahlender Sonne unterwegs, der Blick auf Dorf und Tal ist angenehmer als der auf die in Nebel gehüllten Gipfel. In der Ferne glitzert ein See zwischen anderen Bergen, die sich sanft, hellblau in hellblauer, aneinanderreihen. Mir kommt es vor wie eine andere Jahreszeit, sind wir vom Winter in den Frühling gewandert?

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Wir laufen und laufen, irgendwann sollen wir an die Station einer Seilbahn kommen, doch noch immer ist nichts zu sehen. Drei verschiedene Interpretationen der Karte später entscheiden wir uns, einfach dem Weg nach unten zu folgen. Vor unserem Blick verschwindet die Sonne hinter den Bergen und lässt die Wolken mit blutroten Rändern zurück. Der Himmel ein Spektakel aus Farbschichten, die Erde von hier oben so ruhig, als hätte sie sich bereits schlafen gelegt. Als es wirklich dunkel wird, kommen wir unten an – an der Talstation der Bahn, die wir am Berg gesucht haben.

Unsere müden Füße, die nicht noch mehrere Kilometer zurück zur Unterkunft laufen wollen, und der Zug, der erst in anderthalb Stunden kommt, geben uns Zeit, Piroggen in der Tiefkühl-Version zu kaufen, die nur noch im kochenden Wasser landen müssen, und in der Bahnhofskneipe ein Bier zu trinken. Erschreckend günstige Preise hängen auf Tafeln über der Bar, daneben stehen einige Büsten, unter denen ich nur Lenin erkennen kann. Nur ein Bier, das scheint hier ungewöhnlich zu sein, die meisten tragen, schon etwas wackelig auf den Beinen, zusätzlich mindestens zwei Schnapsgläser an ihren Tisch. Après Ski auf Slowakisch?

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Am nächsten Tag wird es richtig ungemütlich, es ist eiskalt und grau draußen. Wie Zuckerwattefäden hat sich der Frost auf die Tannenbäume gelegt. Wir packen trotzdem unseren Holzschlitten ins Auto und fahren zu einem Skigebiet in der Nähe. Hier gibt es jede Menge zugefrorene Seen, deren gegenüberliegendes Ufer im Nebel liegt, und jede Menge Menschen, die dem Wetter trotzen. Wir wissen nicht so wirklich etwas mit uns anzufangen, das Grau um uns herum schlägt uns aufs Gemüt. Nach oben wandern oder fahren und hoffen, dass in der Höhe die Sonne scheint, so unwahrscheinlich es auch ist? Wir suchen schließlich lange nach der Piste zum Schlittenfahren, finden sie nicht und gehen frustriert etwas essen. Nachmittags fahren wir zum nächsten Skigebiet, das angeblich eine beleuchtete Schlittenpiste für die Nacht bietet – die ist jedoch geschlossen, zu wenig Schnee. Auch mit der Seilbahn können wir nicht fahren – die ist ausgebucht, zu viele Besucher.

So ist das also mit dem Reisen im Winter, zumindest in diesem Winter, der mit schlechtem und kalten Wetter aufwartet, aber den Schnee vermissen lässt. Wir fahren mit dem Auto noch ziellos ein Stückchen weiter und finden schließlich eine Aktivität, die offen hat: die Sommerrodelbahn. Auch eine schöne Beschäftigung für den 29. Dezember.

Warst du auch schon mal im Winter in kalten Regionen unterwegs – und musstest dem Wetter trotzen? Ich freu mich auf deine Geschichte in den Kommentaren!

16 Gedanken zu “Regenbogen und Zuckerwatte”

  1. Dein Text hört sich nach ein paar entschleunigten Tagen in der Natur an – wenn auch mit Überraschungen was die Aktivitäten gen Ende betrifft 😉 Ein schöner Kontrast zu Winterurlaub in den allseits bekannten großen Wintersport-Regionen in Tirol und Co. Liebe Grüße!

    1. Naja, durch die kurze Zeit kam leider nicht so viel Entschleunigungsgefühl auf 😉 Aber schön war es trotzdem – und eine Erfahrung für sich sowieso!

  2. Hachja..
    du schreibst immer so toll.. und dann die schönen Bilder.
    Auch, wenn man heraushört, dass ihr wohl nicht so glücklich mit eurer Tour wart bekomme ich Fernweh.

    Im Winter buchen wir eigentlich immer Skiurlaub in den Alpen.. egal ob in Südtirol oder im Süden Deutschlands.. das ist immer sehr schön!

    Viele liebe Grüße

    Franzy

    1. Vielen Dank! 🙂 Ach, das klingt toll! Skifahren ist zwar nicht so meine Lieblingsbeschäftigung, aber ich könnte mich im Winter in den Alpen wohl gut damit abfinden, einfach den ganzen Tag die Berge anzugucken…

  3. Hach so schöne Fotos! Du hast wirklich ein gutes Auge dafür und ein Talent die Landschaft schön einzufangen 🙂 war vorletztes Wochenende an der Zugspitze und in den Ammergauer Alpen und hab mich richtig verliebt! Außerdem wusste ich vorher gar nicht das es 7 Alpenländer gibt, voll krass, die Slowakei ist da ja auch dabei 😀

    Würde mich freuen wenn du vorbei schaust 🙂

    Liebe Grüße
    Jasmin von nimsajx.blogspot.de

  4. Wie wundervoll. Das sieht wirklich aus, wie aus dem Märchenland. Ich hab erst einmal „Winterurlaub“ gemacht – ich war über Weihnachten mal ein paar Tage im Fichtelgebirge und bin dort mit meinem Papa rumgewandert. Das war auch echt toll. So viel Ruhe, so viel Natur, so wenig WLAN. 😀

    1. Danke! 🙂 Haha, ja, wenig Wlan ist immer gut für einen entspannten Urlaub! Wobei gutes Wlan bei meinem Freund und mir meist das erste ist, auf das wir bei einer Unterkunft achten – wenn Bloggerin und Informatiker verreisen, muss das klappen – da reicht uns dann die Internetlosigkeit tagsüber in der Natur 😀

  5. Irgendwie bin ich ein bisschen traurig, dass ich deinen Blog erst vor kurzem entdeckt habe und so viele deiner Reise-Geschichten nicht „live“ mitgelesen habe. 😀
    Richtig starkes Storytelling und die Bilder…
    Naja, jetzt mache ich es mir auf jeden Fall erst mal gemütlich an diesem grauen Sonntag und stöbere hier noch eine Weile.

    http://www.itchyfeet-travel.de

    Lieben Gruß aus Mainz,
    Sarah

    1. Haha, mir geht es mit deinem Blog ähnlich! Habe mich sehr gefreut, den zu finden 🙂
      Vielen Dank für das Kompliment – dieses Jahr wird es noch viele Live-Geschichten aus Ecuador, Peru und anderswo geben, keine Sorge!

  6. Hey Ariane,
    was für wunderschöne Fotos!!! So eine Tour ist genau nach meinem Geschmack. Manchmal gibt das Wetter einer Umgebung die perfekte Stimmung.
    Das Problem mit dem fehlenden Winterwetter und den dazugehörenden Fotos kenne ich – eigentlich wollte ich dieses Jahr auch mal einen schönen Winterartikel machen. Naja, auf ein Neues in der nächsten Saison.
    Lieben Gruß
    Elisa

    1. Vielen Dank! 🙂 Haha, ja, so richtig schöne Schnee-Fotos gabs bei mir diesen Winter auch nicht. Aber vielleicht wirds ja in den kommenden Wochen nochmal was 😉

  7. Landschaftlich sieht es ja sehr schön aus und dies Holzbrücken sind super fotogen, aber wenn man kaum was unternehmen kann ist das natürlich schade, vor Allem wenn man sich schon so richtig auf den Schnee gefreut hat
    ich kam aber diesen Winter auch nicht mehr zum rodeln, außer in der Skihalle
    lg

    1. Ja – aber schön wars trotzdem 🙂 Haha, nach der Skihalle war ich auch weder mit dem Schlitten noch mit Skiern unterwegs. Schade eigentlich!

  8. Oh eine wirklich schön geschriebene Reiseberichts-geschichte!
    War beim Lesen gefühlt hautnah dabei. Lustigerweise hatte ich mich, als du die Kalender erwähnt hattest, auch gefragt, ob es genial oder schräg ist. Hätte ich gerne gesehen.
    Klingt jedenfalls nach einem sehr magischen Trip!
    Liebe Grüße

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