Ein Foto und seine Geschichte: Fernweh

Fernweh. Es gibt in meinem eigenen Bildarchiv wohl hunderte, wenn nicht sogar tausende Bilder, die zu diesem Begriff passen würden. Aber keines ruft in mir so ein starkes Gefühlschaos aus Sehnsucht und Nostalgie hervor wie dieses eigentlich relativ unspektakuläre Sonnenuntergangsfoto aus Málaga, Spanien.

Ich bin das erste Mal allein unterwegs. Tausend Gedanken, tausend Fragen, tausend Zweifel schießen mir durch den Kopf, ich bin so nervös, dass ich mir das falsche Zugticket kaufe. Es ist so still in meinem Kopf, niemand ist da, mit dem ich herumalbern oder quatschen könnte, um meine Nervosität ein bisschen zu übertönen. Schließlich stehe ich am Flughafen, Nürnberg, ein kleiner Flughafen mit wenig los. Alle anderen scheinen mit dem Partner oder mit Freunden unterwegs zu sein, Kinder laufen durch die Gänge, alle haben jemanden, ich stehe allein da. Ich mache mir Sorgen, dass mein Rucksack nicht als Handgepäck zählt, ich denke nach, ich zweifle.

Ein paar Wochen vorher noch hatte ich das Gefühl, unbedingt mal aus Jena raus zu müssen. Mir waren verschiedene Dinge passiert, die zwar rückblickend sehr wichtig für mich waren, die ich damals jedoch eher als Beweis dafür deutete, dass das Universum gerade dagegen war, dass ich glücklich würde. Ich wollte raus, erst wollte ich einen Zug nach Osteuropa buchen, dann entdeckte ich Billig-Airlines und buchte den erstbesten Flug dahin, wo ich mal wieder Spanisch würde sprechen können. Málaga, Sevilla, Lissabon und Porto standen auf dem Plan, und ich freute mich riesig darauf. Und dann, so wie die Dinge eben immer gerade dann passieren, wenn man nicht damit rechnet, verliebte ich mich, eine Woche vor Abflug. Eine Woche gegenseitiges Kennenlernen und Beschnuppern, drei Wochen Trennung, eine erschreckend lange Zeit in diesem Moment. Zu verschwinden fühlte sich komisch an, wie eine Pause im Theater zwei Minuten nach Vorstellungsbeginn. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte, ich wusste nur, dass ich jetzt gerade eigentlich gar nicht weg wollte. Und dann kam ich in Málaga an.

Heiß, Palmen, viele Menschen. Mein Couchsurfing Host holt mich direkt vom Flughafen ab, ein Problem, ein Zweifel weniger. Er wohnt in einer coolen WG mit netten Mitbewohnern, eine andere Couchsurferin ist auch seit ein paar Tagen da. In einer ruhigen Minute erzählt sie mir, dass der Host ein bisschen merkwürdig ist und dass zwischen ihnen dicke Luft herrscht. Na toll, denke ich. Alle anderen wollen heute ins Schwimmbad, mir kommt es definitiv nicht in den Sinn, an meinem ersten Tag in Andalusien etwas zu tun, das ich auch in Deutschland machen könnte. Ich ziehe allein los und gucke mir die Stadt an.

Am frühen Abend klettere ich den steilen Weg zum Gibralfaro hoch, der Ruine, die Málaga überthront. Langsam geht die Sonne unter. Es ist einfach wunderschön, und in diesem Moment erfüllt mich diese Schönheit mit Trauer, denn ich würde sie einfach gerne teilen. Ich sitze auf einem der Steine und lasse mich von meinen Gefühlen übermannen. Freude, hier zu sein, Ehrfurcht in Angesicht dieser Schönheit, Einsamkeit, weil niemand hier ist, dem ich all das erzählen könnte. Ich schaue der Sonne beim Untergehen zu. Ich mache immer wieder Fotos, denn mit jeder Minute wird die Szenerie noch schöner. Irgendwann ist alles in ein rotes Licht getaucht, die Umrisse der Gebäude werden weich und die ersten Lichter unter mir gehen an. Und ich, ich bin wie die Stadt zur Ruhe gekommen. Ich fühle mich wohl, ich habe das Gefühl, meinen Platz gefunden zu haben, ich liebe all das, ich atme die frische Abendluft, sauge sie ganz tief ein. Das hier, das ist das Leben, denke ich. Einsamkeit, Glück, Verwirrung, Liebe, all das und noch so viel mehr. Ich nehme es an, ich bin glücklich darüber, traurig sein zu dürfen, mich von meinen Gefühlen überwältigen lassen zu können, mal nicht funktionieren zu müssen. Das hier ist das Leben, denke ich, und davon kann ich einfach nicht genug bekommen.

Mehr über meine Zeit in Málaga könnt ihr hier nachlesen. Aus meiner Vor-Urlaubs-Liebelei wurde übrigens mein Freund, mit dem ich seit nun fast zwei Jahren zusammen bin. Und meine Zeit in Spanien und Portugal wird mir immer in Erinnerung bleiben.

Wie hat dir der Beitrag gefallen? Würdest du dir öfter solche Hintergrundgeschichten und „Momentaufnahmen“ zu einzelnen Fotos wünschen?

 

Dieser Beitrag ist übrigens im Rahmen der Blogparade „Ein Foto und seine Geschichte“ entstanden. Noch viele weitere Bloggerinnen teilen bis zum 7. Juli ihre besten Fernweh-Fotos mit der Geschichte dahinter auf ihren Blogs:

29. Juni – Alicja von Hate me or love me

30. Juni – Jule von Floral Heart

1. Juli    –   Lea von A Journey to her Dreams

2. Juli    –   Franzi von franziskasophie

3. Juli    –   Feli von moderation is the key

5. Juli    –   Aileen von Mademoiselle Moment

6. Juli    –   Carolin von coralinart

7. Juli    –   Sabine von everydaysoap

18 Gedanken zu “Ein Foto und seine Geschichte: Fernweh”

  1. Hallo! 🙂

    Ich finden diesen Beitrag wirklich sehr, sehr schön. Zum einen finde ich das Foto zum Thema "Fernweh" sehr passend und es ist so interessant, die Hintergrundgeschichte dazu zu hören, die so schön und traurig zugleich klingt.
    Somit fände ich es toll, in Zukunft mehr solcher Hintergründe zu erfahren. 🙂

    Liebste Grüße,
    Franzi
    himmlischerfedertraum.blogspot.de

  2. Ein sehr schöner Post. Ich habe das Gefühl gehabt nach Barcelona zurückversetzt worden zu sein. Die Aussicht war ähnlich und es war herrlich.
    Danke und liebe Grüße
    die Eurydike (eurydikeswelt.com)

  3. Oh und wie diese beiden Fotos Fernweh machen! Hab ich schon ganz arg und ich kann es nicht erwarten in weniger als einem Monat wieder an Kerrys Klippen zu stehen und die Stille von Irland zu genießen. Hach.

  4. Ich habe deine Geschichte hinter dem Bild sehr gerne gelesen. Insbesondere da ich eine sehr ähnliche erlebt habe. Ich bin wenige Wochen (also etwa drei), nachdem der Lieblingsmensch und ich ein Paar wurden, zwei Monate nache Südostasien gereist. Am Flughafen habe ich geheult wie ein Schlosshund. Es war schrecklich. Die Reise war dann doch schön, auch wenn ich ihn unglaublich vermisst habe.

    1. Danke! Wow, zwei Monate sind ja auch echt eine lange Zeit, und Südostasien verdammt weit weg. Die Liebe kommt eben immer zu den blödsten Momenten :/ Aber solange es geklappt hat, ist ja alles gut gegangen und man hat eine tolle Geschichte, auf die man stolz sein kann!

  5. Weißt du, liebe Ariane, eigentlich sitze ich gerade in der Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit. Für die letzten Minuten hab ich mich allerdings nach Spanien geträumt. Du hast mich mal wieder mitgerissen. 🙂

    Gerne mehr solcher Momentaufnahmen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.