Tbilisi bei Nacht

Fremde Städte bei Nacht haben ein ganz eigenes Flair. Es ist das Eine, tagsüber durch eine Stadt zu laufen, sich die Sehenswürdigkeiten anzusehen oder sich einfach treiben zu lassen, zwischen Einheimischen, die geschäftig durch die Straßen laufen und Touristen, die mit dicken Kameras bewaffnet vor Kathedrale oder Museum stehen. Irgendwann meint man, sich schon ein wenig auszukennen, kommt vom Lieblingsrestaurant ohne Zweifel über den Weg bis zur Unterkunft, schafft es, ohne Zögern eine Straße zu überqueren und weiß, wo es was zu kaufen gibt. Eine Nacht in einer fremden Stadt, das ist jedoch noch einmal etwas ganz Anderes. Eine ganz andere Form von Geschäftigkeit macht sich auf den Straßen breit, Männer in Anzügen und Frauen in Businesskostümen sind inzwischen zu Hause, dafür stehen Jugendliche an Straßenecken, die Umrisse der Stadt sind verschwunden, umliegende Hügel, Bäume, Natur nicht mehr zu erkennen, dafür blinken überall gelbe Lichter auf. Alles ist irgendwie erleuchtet, wichtige Wahrzeichen angestrahlt, vorbeifahrende Autos ziehen einen Schein hinter sich her. Die Nacht erlaubt uns manche Einblicke in die Leben anderer Menschen, wenn wir durch Fenster in hell erleuchtete Wohnungen blicken können, in denen der Fernseher läuft oder die Familie beim Essen sitzt. Eine Nacht in einer fremden Stadt, das ist zugleich Euphorie und Müdigkeit, Nervosität und Voyeurismus, Spannung und das Gefühl, alle Möglichkeiten der Welt zu haben.

Die Hauptstadt Georgiens macht nachts Las Vegas Konkurrenz. Die Altbauten und die flachen Häuser, die sich an die Hänge ducken, sind in der Dunkelheit verschwunden. Stattdessen liegen die historischen Wahrzeichen der Stadt in gleißendem Licht und die modernen Gebäude glitzern und leuchten, als würden sie versuchen, sich gegenseitig auszustechen. Sofort ins Auge fällt der Fernsehturm, der mit seinem schnell wechselnden Gefunkel alle Blicke auf sich zieht. Er wurde von den selben Künstlern beleuchtet wie der Eiffelturm. Ein Meisterwerk aus Kitsch und Deplatziertheit, und irgendwie passt es trotzdem hinein, wie es so über der Stadt thront und alles andere in den Schatten stellt.

Von den erst kürzlich errichteten Gebäuden wird jedoch kaum eines ganz normal angestrahlt. Stattdessen erinnern das Funkeln, die vorbeilaufenden Lichter, das Blitzen und Strahlen an einen Weihnachtsmarkt. Heller, blinkender, kurioser, scheinen die Imperative zu sein, nach denen ein neues Gebäude konzipiert wird. Auf einer Brücke, die entfernt an die Milennium Bridge in London erinnert, blinken kleine Lämpchen von vorne bis hinten nacheinander auf, so dass man beim Hinübergehen das Gefühl bekommt, von einem Lichtstrahl begleitet und überholt zu werden. Der Präsidentenpalast macht nachts mehr denn je deutlich, dass er dem Reichstag nachempfunden wurde. Im Flieger zurück erzählt mit mein Sitznachbar, der aus Aserbaidschan stammt, dass seine Heimatstadt Baku nachts noch viel mehr leuchtet als Tbilisi. „Look it up on google“, empfiehlt er mir, und ich bin beeindruckt. Ich weiß nicht viel über die Region, aber eines der Dinge, die ich über den Kaukasus aus eigener Erfahrung heraus sagen kann, ist, dass die Stadtplaner dort scheinbar ein ziemliches Faible für krasse Lichtinstallationen haben.

Tbilisi bei Nacht eröffnet noch so manche Kuriosität. Wir fahren mit einer Seilbahn zu dem Hügel, auf dem der Fernsehturm steht. Um diesen herum gibt es einen Vergnügungspark mit Riesenrad, Karussells, riesigen Figuren und Spielbuden. Es ist kalt und windig, wir sind die einzigen dort. Das Riesenrad fährt nicht, die Buden und Tickethäuschen sind alle unbesetzt. Trotzdem ist die Beleuchtung an. Ein leeres Karussell erinnert mit seinen Glühbirnen und kitschig dekorierten Pferdchen neben dem glitzernden Fernsehturm an Bilder aus Paris, wo ein solches Karussell vor dem Eiffelturm steht. Doch im Dunkeln, ohne Kindergeschrei und Gedränge, ganz alleine zwischen den Lichtern, wirkt die Situation ganz schön unheimlich. An einem anderen Tag, es ist ein paar Tage nach Halloween, sitzen wir in einer Bar, die die Deko einfach mal drangelassen hat. Auf dem Boden beim Eingang liegt ein Körper aus Kissen auf dem Boden, über den so einige drüberfallen, die Kellnerinnen und Kellner sind großartig kostümiert, hinter den Fenstern gruselige Gesichter, überall Spinnweben. Ab und ab bekommen wir Kekse in Fingerform mit Mandelfingernägeln serviert. Zwischendurch fängt eine Frau in einem dezent gruseligen Hochzeitskleid an, laut und hell zu singen, es wird totenstill im Raum.

Ich denke mich zurück zwischen die Lichter, die sich im Fluss spiegeln, unter den Fernsehturm, bei dem einem eigentlich gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als ihn längere Zeit anzustarren, zwischen die Häuschen des verlassenen Vergnügungsparks, und wünsche mir, noch ein bisschen mehr davon entdecken zu können. Nachts gibt es so viel Kurioses in Tbilisi, dass einem die Stadt wahrscheinlich nur ans Herz wachsen kann.

4 Gedanken zu “Tbilisi bei Nacht”

  1. Das kann ich total bestätigen. Man muss eine Stadt einfach auch bei Nacht gesehen haben, oft gefallen mir Städte die mir bei Tag schon gefallen haben, bei Nacht umso besser. Und Fotos von Städten bei Nacht liebe ich sowieso. Mein schönstes "Stadt bei Nacht"-Erlebnis war mit Abstand Venedig. Das war einfach magisch, weil man Venedig ja eigentlich nur heiß und voller Leute kennt. Nachts wird es dort aber richtig entspannt.

    Liebe Grüße
    Bonny

  2. Wow, ein sehr schön geschriebener Bericht mit vielen tollen Fotos von Tbilisi.
    Ich muss mich ja outen, ich weiß eigentlich fast gar nichts über Georgien und wie man Tbilisi schreibt musste ich noch mal kurz nachgucken, aber es sieht wirklich toll aus!
    Und Georgien ist ja momentan sowas wie der Geheimtipp für Europareisen, also sollte man sich das vielleicht mal genauer angucken 😉

    Danke dafür, hat Spaß gemacht zu lesen! 🙂

    Liebe Grüße,
    Carina

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