Eindrücke aus Tbilisi {Teil 2}

Es ist ein unglaublich windiger Tag, als wir mit der Seilbahn auf die Nariqala-Festung fahren. Irgendwie scheinen die Menschen in Georgien Fans von Seilbahnen zu sein, es ist schon die zweite Seilbahn, mit der wir in der Hauptstadt fahren und in Borjomi werden wir ein paar Tage darauf feststellen, dass es dort ebenfalls eine kleine Seilbahn gibt, die allerdings nur im Sommer fährt. Ein bisschen beunruhigend nur, dass in einer der Bahnen 1990 15 japanische Touristen in den Tod gestürzt sind. Und, dass der Wind heute so bläst, dass die Gondeln fröhlich hin- und herschaukeln. Draußen braust und sirrt es, und ich bin froh, als wir endlich oben sind.

Dort ist es allerdings noch viel windiger und ich bin froh über Mütze, Schal und Handschuhe. Allzu viel sehe ich von der Festung nicht, weil ich zu sehr damit beschäftigt bin, nicht von den Felsen geweht zu werden. Von oben wird besonders deutlich, wie viele verschiedene Architekturstile die Stadt in der Vergangenheit in sich aufnehmen musste. Kleine Häuser mit Innenhöfen und Balkonen, die sich an den Berg schmiegen. Verrückte Auswüchse sowjetischer Architektur, die aussehen wie kleine Burgen oder stehengelassene Raumschiffe. Platten, Prunk und dazwischen moderne Absurditäten aus Glas und Metall, die gar nicht ins Bild passen wollen.

Ein paar Meter weiter ein komplett anderes Bild. An Weinranken vorbei laufen wir in eine Landschaft, in der die ersten gelben Blätter zwar schon an den Bäumen hängen, das Grün jedoch noch überwiegt. Ein Bach läuft hindurch, ein Wasserfall, viele Brücken. Es ist auf einmal ruhig und windstill, fast T-Shirt-Wetter, nur von Weitem sieht man, wie sich die Baumspitzen im Wind wiegen.

Georgien war in der Sowjetunion eine Region, die es relativ gut hatte und die (zumindest unter der Hand) große wirtschaftliche Erfolge vorweisen konnte. Die „Schweiz des Kaukasus“ wurde Georgien damals genannt und war für Menschen aus allen Teilen des Landes ein beliebtes Urlaubsziel. Das subtropische Klima erlaubte den Anbau von Wein, Tee oder Zitrusfrüchten, die ins gesamte restliche Land exportiert werden, und vielen muss Georgien damals als eine Art Paradies erschienen sein. Ein großer Teil der Landwirtschaft blieb von der Zwangskollektivierung verschont, private Nebenwirtschaft war die Regel. Das führte dazu, dass in Georgien sehr viel weniger Menschen Hunger litten als anderswo und dass heute noch zumindest in kleineren Städten und Dörfern jeder irgendwo seinen eigenen Wein oder seine eigenen Äpfel anbaut. Mir kam es immer so vor, als würde in jedem Garten Wein wachsen, egal, wie wenige Quadratmeter dafür zur Verfügung stehen. Platz für zwei Pflänzchen? Na, damit lassen sich ja schon ein paar Flaschen im Jahr herstellen.

Georgien als Paradies? Im botanischen Garten, mit seinen kleinen Bächen und Wasserfällen, dem geordneten, aber trotzdem sympathischen Landschaftsbild und dem bunten Blätterdach, kann man sich das gut vorstellen. Über all dem wacht die Mutter Georgiens, eine riesige Metallstatue, die als Symbol für die Stadt Tbilisi steht. In der einen Hand hält sie ein Schwert, in der anderen – wie könnte es auch anders sein – eine Schale Wein, als Zeichen für die Freude. Sympathisch, oder?

Übrigens wird der Weinbau in Georgien nicht nur viel gepflegt, sondern er wurde dort sogar erfunden. Kerne von angebauten Reben, die bereits etwa 8.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung vom Menschen kultiviert und wohl auch weiterverarbeitet wurden, konnten in Georgien gefunden werden. Kein Wunder, dass man auf so eine Tradition ganz schön stolz ist.

Auf dem Weg nach unten durch kleine, teils recht verfallene Gassen, vorbei an windschiefen Dächern aus Ziegeln und Wellblech, Innenhöfen mit aufgehängter Wäsche und Wänden mit Grafittis, kommen wir an einer Kirche vorbei, an dessen Mauer sich einige Katzen um ein paar Dosen Katzenfutter tummeln. Wir bleiben kurz stehen, ich mache (wie immer, wenn ich Katzen sehe) gefühlte zweihundert Fotos. Ein Priester tritt aus der Tür, komplett in schwarz gekleidet, mit passender Mütze und einem langen grauen Bart. Er sagt nichts, schaut uns aber mit einem Blick an, der mir ein bisschen das Blut in den Adern gefrieren lässt. Ich denke daran, mit welchem Ernst und welcher Inbrust sich viele Menschen in den Maschrutkas und Bussen jedes Mal bekreuzigen, wenn sie an einer Kirche vorbeikommen, daran, wie beklommen ich mich jedes Mal gefühlt habe, wenn ich, den Kopf mit einer Kapuze oder dem Schal bedeckt, inmitten der dicken, dunklen, teils uralten Mauern einer Kirche in Georgien stand, und dieses Bild, zusammen mit dem kalten Blick des Priesters, lässt mich die Sache mit der Freude noch einmal überdenken. Doch es ist nur ein kurzer Moment, ein Rückblick auf die Kätzchen, die sich an der Mauer aneinanderschmiegen, dann laufen wir weiter.

Hier kommt ihr zum Teil eins der Eindrücke aus der Hauptstadt Georgiens. Im nächsten Post über das Land gehts um Tbilisi bei Nacht, seid gespannt!

9 Gedanken zu “Eindrücke aus Tbilisi {Teil 2}”

  1. Richtig tolle Fotos, Ariane! Wollte das schon beim ersten Post über Tbilisi schreiben: da hat es sich wirklich gelohnt, dass wir ab und an an irgendwelchen Ecken warten mussten, bis du mit den Fotos fertig warst 😉 Übrigens wird das wunderschöne verfallene Haus, das direkt neben unserem ist (neben dem China-Imbiss) jetzt vom Kultusministerium restauriert! Ich hab erst nur den Bauzaun gesehen und hab schon befürchtet, dass sie es abreißen, aber scheinbar wird hier teilweise doch die schöne, alte Architektur auch wertgeschätzt 🙂

    (Marschrutka übrigens nicht Matruschka, Matroschkas sieht die Püppchen aus Russland;) )

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