Ich bin mit ein paar Leuten verabredet, die ich über Couchsurfing kennen gelernt habe – auf dem Plan steht ein Konzert in Manchesters hippen Northern Quarter. Aber vorher erst einmal Stärkung, im Pub um die Ecke. Kaum haben wir uns hingesetzt, steht ein Mann vor unserem Tisch, vielleicht Mitte dreißig, mit Mütze und einer großen Umhängetasche. Aber er fragt nicht nach ein paar Münzen und will auch keine Rosen verkaufen – sondern seine CD präsentieren.
Ob wir Bluesmusik mögen, will er wissen, und dreht halb durch vor Begeisterung, als sich Matt mir gegenüber als Musikproduzent vorstellt, zwar noch im Studium, aber immerhin. „I sing, too!“ Er zeigt uns, wo wir ihn auf Youtube finden, ihm zu folgen, kostet schließlich nichts, sagt er. Dann bekommt jeder noch eine selbstgebastelte und laminierte Visitenkarte.
Ich bin ziemlich baff. Wenn einem schon am Restauranttisch Musik angeboten wird, dann ist wohl klar, dass man sich in einer ganz besonderen Gegend befindet. Oasis, Joy Division, The Smiths, aus Manchester stammen große Namen. Und allein der Name Liverpool ist wohl für immer verbunden mit der berühmtesten Band der Musikgeschichte. Mir gefällt die Vorstellung, dass noch unbekannte Musiker aus aller Welt hier hinziehen, in den Nordwesten Englands, um ihrem Glück zu folgen, eine Art Hollywood für britischen Indie-Pop-Rock.
Hier habe ich eine Playlist mit den im Artikel erwähnten und noch ein paar mehr Songs erstellt. Ich empfehle euch sehr, sie beim Lesen anzumachen – oder euch für die nächste Manchester/Liverpool-Reise aufs Handy zu laden!
Elbow – Station Approach
I haven´t been myself of late
I haven´t slept for several days but
Coming home I feel like I
Designed these buildings I walk by Elbow - Station Approach
Ich könnte wohl viele Lieder schreiben über das Heimkommen, das Ankommen in einer Stadt, in der man sich zu Hause fühlt – hätte ich auch nur ein klein wenig musikalisches Talent. Stattdessen schreibe ich Texte, über das Ankommen genauso wie über das Fortgehen, und stelle, als mein Zug in Manchester einfährt, fest, dass Elbow all die Worte, die ich schreiben könnte, wunderbar in ein paar Zeilen zusammengefasst haben. Es gibt diese Orte, an denen wir uns wieder fühlen wie wir selbst, an denen wir zur Ruhe kommen können. An denen wir akzeptiert werden, wie wir sind, an denen wir uns nicht verstellen müssen.
Manchester ist eine Stadt, die es einem erschreckend einfach macht, sich angekommen zu fühlen. Wie kann man schließlich Heimweh haben in einer Stadt, in der einfach so viel los ist? Und in der man immer etwas zu gucken hat – nicht nur im Museum oder Theater, sondern allein optisch? Während man sich auch an den hübschesten Sehenswürdigkeiten und historischen Schmuckstücken irgendwann einmal satt gesehen hat, bleiben die Brüche in Manchesters Architektur spannend und inspirierend.
The Beautiful South – Manchester
As I´m caught up without my jacket once again
The raindrops on my face play a sweet refrain
If rain makes Britain great
Then Manchester is greater The Beautiful South - Manchester
An meinem zweiten Tag in Manchester hat mich das typisch britische Wetter voll im Griff. Die Tropfen, die fallen, sind nicht unbedingt groß, aber dafür umso stetiger. Für diesen Tag wurde der Ausdruck ‚Es regnet Bindfäden‘ erfunden. Ich traue mich trotzdem nach draußen und schlendere entlang der Kanäle von Castlefield. Hier finden sich Überreste aus der Römerzeit neben Backsteinhallen, und alles ist durchzogen von den Wasseradern, die zur Zeit der Industrialisierung als riesiger Erfolg gefeiert wurden.
Ich stelle mir vor, wie die grünen Wiesen rings um die Kanäle im Sommer voller Leben sind und sich Menschen auf den Kopfsteinpflastergassen sammeln – heute ist es vollkommen ruhig. Überhaupt wirkt der Stadtteil wie eine kleine Oase zwischen dem Business-Distrikt Spinningfields und der Innenstadt mit den belebten Straßen. Die Ruinen eines römischen Forts aus dem 1. Jahrhundert vor Christus bilden weite Grünflächen und da die gesamte Gegend 1982 zu einer Art Schutzgebiet erklärt wurde, ist sie relativ frei von Verkehr.
Schön hier, denke ich, und muss trotzdem irgendwann aufgeben: Gleichzeitig Kamera, Aufnahmegerät, Handy und Regenschirm zu manövrieren, macht nicht so viel Spaß, und führt dazu, dass ich schon nach meinem kurzen Spaziergang vollkommen durchnässt bin. Was ist das eigentlich, mit dem Regen hier? Ich habe keinen Tag in Manchester, an dem es nicht mindestens für einen kurzen Moment regnet, und trotzdem bin ich häufig die einzige auf der Straße mit einem Schirm. Auch, wenn es verschiedene Werte dazu gibt, ob Manchester denn nun eine der regenreichsten Städte Englands ist oder nicht, eins ist sicher: Die Leute in Manchester sind entweder gut daran gewöhnt, oder richtig hart im Nehmen.
Das Museum of Science and Industry
Ich bin keins von beidem und rette mich ins Museum of Science and Industry, eine der spannendsten Sehenswürdigkeiten in Castlefield. Es wurde in einem stillgelegten Bahnhofsgebäude eröffnet, wobei, eigentlich nicht in irgendeinem Bahnhof, sondern in dem wohl ältesten noch erhaltenen Bahnhofsgebäude der Welt. Das Museum ist riesig und beschäftigt sich nicht nur mit der Geschichte der Stadt, sondern auch mit den Auswirkungen von Technik und Industrie auf die Gesellschaft und den einzelnen Menschen. Und dabei geht es nicht nur um das 19. Jahrhundert, um Dampfmaschinen und Spinnräder: Ich entscheide mich gegen die Transport- oder Textilabteilung und besuche stattdessen eine Ausstellung über Roboter.
Es ist dunkel, und dann stehe ich vor einem an der Wand aufgehängten Baby. Um mich herum verschiedene Geräusche, die ich noch nicht ganz zuordnen kann, und dieses Baby, bewegt sich das überhaupt? Ich zucke zusammen, als es die Augen aufschlägt. Die Bewegungen sind nicht wirklich menschlich, eher stockend und abgehakt, und auch, wenn ich natürlich weiß, dass das Ding, das da vor einer beleuchteten Wand hängt, nicht echt ist, nicht menschlich, muss ich mich überwinden, um einfach weiterzugehen und es dort hilflos mit den Armen rudern zu lassen. Was ist es, das uns daran fasziniert, Menschen als Maschinen nachzubilden, und was macht eigentlich den Menschen aus in einer Welt, in der Maschinen uns täuschend ähnlich sein können? Spannende Fragen, die die Ausstellung eher aufwirft, als sie zu beantworten.
Um wieder in den Rest des Museums zu kommen, muss ich am Ende durch einen Gang, in dem rechts und links verschiedene moderne Roboter in Glaskästen ausgestellt sind. Mehrere davon sind darauf trainiert, Menschen zu erkennen, und so werde ich von verschiedenen Displayaugen angestarrt und freundlich gefragt, wie man mir helfen könne. Ganz ehrlich? Mir ist das wirklich nicht geheuer. Am schlimmsten ist für mich jedoch der Kontakt mit Kodomoroid, einer Roboter-Nachrichtensprecherin aus dem Labor von Hiroshi Ishiguro, die täuschend menschlich aussieht und deren subtiles Lächeln ich umso gruseliger finde, je länger ich sie betrachte. Nein, stimmt nicht, je länger wir uns gegenseitig betrachten. Schon allein bei der Erinnerung stellen sich mir wieder die Nackenhaare auf.
Herman’s Hermits – It’s Nice to be Out in the Morning
But the town is people more than things
It´s the mums and dads and kids and love that give it life Herman´s Hermits - It´s nice to be out in the morning
Ein weiteres Juwel in Castlefield ist das erst 2015 eröffnete HOME, ein Kulturzentrum für zeitgenössische internationale Kunst, Filme und Theater. Der Fokus liegt auf allem, was neu, innovativ und ungewöhnlich ist und auf länder- und kunstformübergreifenden Produktionen. Dabei soll HOME allerdings trotz aller Experimente und ungewöhnlicher Stücke ein Ort für ein diverses Publikum bleiben: Partizipative Kunstprojekte stehen genauso auf dem Plan wie Workshops für junge Künstler, und in den Kinosälen laufen nicht zwingend experimentelle Kurzfilme, sondern auch aktuelle Kinofilme.
Ich möchte zum PUSH-Festival, in dem zwei Wochen lang noch vergleichsweise unbekannte Künstler aus dem Nordwesten Englands ihre Filme, Theaterstücke und Kunstwerke präsentieren – und sich miteinander und mit Profis aus dem Kulturbereich vernetzen können. „True Stories“ heißt das Stück, das ich sehe, und der Name ist Programm: Die Künstler erzählen auf der Bühne Geschichten mit verschiedenen Methoden, sie singen, tanzen, sprechen, spielen und rappen. Das, was sie aufführen, ist bewegend, traurig, lustig, absurd und ironisch. Die einzige Gemeinsamkeit der kurzen Stücke: Jede einzelne Geschichte dahinter ist wahr. Und jede einzelne ist unglaublich ehrlich – es gibt keine Klischees und keine erwartbaren Seelenstripteases, sondern eine ganz persönliche Verarbeitung des Erlebten. Und am Ende, da steht Hoffnung. Und das Gefühl, an einem sehr intimen Moment in den Leben der vier Künstler teilgenommen zu haben, hier in diesem winzigen Theater.
Manchester ist eine diverse Stadt, nicht nur kulturell, sondern auch sozial. „Wenn Leute an den Nordwesten von England denken, was kommt ihnen in den Sinn? Arbeiter und Drogen. Und sie haben ja nicht unrecht“, fasst es ein Bekannter in Manchester zusammen. Obdachlosigkeit, Armut und auch Drogen sind Probleme, die der Stadt und ihren Bewohnern nicht unbekannt sind. Doch ich habe das Gefühl, man schafft hier tatsächlich einen gewissen Spagat: Die Schwierigkeiten werden nicht übersehen und nicht unter schicken neuen Prestigeprojekten begraben – und gleichzeitig weist nicht jedes Kunstprojekt in riesigen Lettern darauf hin, wie inklusiv es ist. Stattdessen entstehen Projekte wie das HOME, die mit stinknormalen Kinovorführungen neben moderner Kunst und experimentellem Theater vielleicht tatsächlich dafür sorgen, Menschen zusammenzubringen.
Oasis – Don’t Look Back in Anger
So Sally can wait, she knows it’s too late as we`re walking on by
Her soul slides away, but don`t look back in anger I hear you say Oasis - Don`t look back in anger
Menschen zusammenbringen, dafür ist Musik wahrscheinlich das beste Mittel, das man finden kann. Nach dem Terroranschlag 2017 hat eine Menschenmenge bei einer Gedenkveranstaltung nach einer Schweigeminute gemeinsam „Don’t Look Back in Anger“ angestimmt, und das Lied ist schließlich ein wenig zu einer Hymne geworden, um das Ganze kollektiv zu verarbeiten. Es geht um eine Frau, die auf ihr Leben zurückschaut und nichts bereut – und die Menschen in Manchester haben den Song mit sehr viel Trotz umgedeutet und besingen mit ihm Furchtlosigkeit und Stärke.
Da, wo Worte fehlen, ist das, was bleibt, die Musik, vor allem hier in Manchester und Liverpool, wo Musik immer irgendwie auch mit Hoffnung und einer Art Regionalstolz verbunden ist. Er wollte nie Rockstar werden, hat Noel Gallagher mal in einem Interview gesagt, denn dafür war er einfach zu realistisch: Sozialsiedlungen am Rande von Manchester produzierten nun mal keine Rockstars. Und dann kamen The Smiths, die Stone Roses und die Happy Mondays – und schließlich Oasis, um das Gegenteil zu beweisen.
The Beatles – Penny Lane
Penny Lane there is a barber showing photographs
Of every head he´s had the pleasure to know
And all the people that come and go
Stop and say Hello
On the corner is a banker with a motorcar,
And little children laugh at him behind his back
And the banker never wears a mac
In the pouring rain, very strange
Penny Lane is in my ears and in my eyes
There beneath the blue suburban skies The Beatles - Penny Lane
Und natürlich DIE Band der Region, die irgendwie tatsächlich die berühmteste der Welt geworden ist. Am Anfang des Museums Beatles Story stehen die Lebensläufe von John, Paul, George und Ringo, von der Geburt bis zur Bandgründung, und ich bin überrascht, wie wenig diese darauf hinweisen, dass die vier einmal die berühmtesten Musiker aller Zeiten werden. Alle vier stammten aus stinknormalen Mittelschichtfamilien in Liverpool oder Vororten von Liverpool, in einer Zeit, in der das Leben in der Stadt nicht ganz einfach war – der Krieg lag noch nicht lange zurück und die Industrie, für die Liverpool genauso wie Manchester bekannt war, war im Niedergang begriffen. Kein Wunder, dass die Beatles ihr eigener Erfolg wohl noch mehr überrascht hat als den Rest der Welt.
Für Rock’n’Roll brauchte man damals auch nicht viel – der auf US-Folk, Blues und Jazz basierende Skiffle, der damals in Liverpool populär war, wurde auf improvisierten Instrumenten wie Waschbrettern und Gießkannen gespielt, nur die Gitarre war natürlich Pflicht, gespielt von John Lennon. Vorläufer der Beatles war die Band The Quarrymen, benannt nach Lennons Schule. Bei einem Auftritt lernte John Paul und später George kennen, und der Rest, wie man so schön sagt, ist Geschichte. In der Penny Lane, die mittlerweile eine Art Pilgerort für Beatles-Fans darstellt, haben die Jungs damals umsteigen müssen, um Busse zu den Häuser der jeweils anderen nehmen zu müssen – und dabei wohl viel Zeit mit Warten und Beobachten verbracht. Ich bin mir sicher, hätte jemand ihnen damals erzählt, dass die Straßenschilder für die Penny Lane mittlerweile nur noch an Wände gemalt werden, weil sie einfach zu oft von Fans geklaut wurden, wären sie in schallendes Gelächter ausgebrochen.
Als ich später am Tag durch die Haupteinkaufsstraße in Liverpool laufe, gibt es dort an jeder zweiten Ecke Musik. Kein Wunder, an einem vollen Samstag, denke ich, höre den Gitarren und dem Gesang zu und schmeiße hin und wieder ein paar Münzen in einen Hut. Und dann komme ich zu einer Gruppe Jungs, die vor Primark ihre Instrumente aufgebaut haben, Gitarre, Bass, Schlagzeug. Die Kinder, die anfangen zu spielen, sind vielleicht fünfzehn oder sechzehn. Ich bleibe stehen und muss an ein Bild denken, das im ersten Raum der Beatles Story hing, The Querrymen auf einem Straßenfest vor den Backsteinwänden von dem, was damals noch der Rand oder ein Vorort von Liverpool war, grinsend bis über beide Ohren und John Lennon mit sichtbarer Begeisterung am Mikrofon. Fast schon ein Déjà Vu, denke ich, als ich den Jugendlichen dabei zusehe, wie viel Spaß sie an den Instrumenten und an ihrer Musik habe, und muss grinsen, als das kleine Konzert für einen Moment von stolzen Eltern mit selbstgemalten Fanplakaten unterbrochen wird.
Gerry & The Pacemakers – Ferry Cross the Mersey
People they rush everywhere
Each with their own secret care
So ferry, cross the Mersey
And always take me there
The place I love Gerry & The Pacemakers - Ferry, cross the Mersey
Okay, es wurde wahrscheinlich oben schon deutlich: Ich bin großer Beatles-Fan. Ich mag nicht nur die Mischung aus Gute-Laune-Liedern und experimentellen Songs, den großartigen Humor und die Filme, sondern ich – und das wird jetzt ein bisschen makaber klingen – finde es unglaublich faszinierend, wie die Beatles wie wohl kaum eine andere Band für rasanten, unerwarteten Erfolg stehen, der „those four boys from Liverpool“ komplett übermannte. Die Beatles gründeten sich in einer Zeit, in der es noch keine künstlich geschaffenen, auf Hochglanz polierten Castingbands gab – stattdessen sind sie aus einer Schülergruppe hervorgegangen, die einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort war und anscheinend die richtigen Sachen gemacht hat.
Bald war das Gekreische auf Beatles-Konzerten so laut, dass die Musiker ihre eigenen Stimmen und Instrumente nicht mehr hörten. Damals gab es noch keine entsprechende Technik, und so mussten die vier tatsächlich spielen, ohne sich selbst zu hören – was in musikalisch grauenvollen Konzerten endete. Jede Tournee ein einziger Wahnsinn, überall Polizei, die Beatles mussten mit Lastwagen in Stadien gefahren werden, um sie vor verrückten Fans zu beschützen. 1966 spielen sie ihr letztes großes Livekonzert, konzentrieren sich im Anschluss auf die Studiomusik und schreiben innovative Musik mit ganz neuen, experimentellen Tönen.
„Beatles Story“ und John Lennon
April 1970 dann die Trennung, aufgrund persönlicher, musikalischer und geschäftlicher Schwierigkeiten – um dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten, oder weil es einfach an der Zeit war, wer weiß das schon. Im Museum Beatles Story gibt es eine Fotoausstellung zu John Lennons Zeit in New York, nach der Auflösung der Beatles. Laut einer Bildunterschrift hat John einem Passanten, der ihm zurief, wann er denn wieder zurück zu den Beatles gehen würde, geantwortet: „Und wann gehst du wieder zurück zur High School?“
John Lennon ist natürlich auch derjenige, der am stärksten für den verrückten, verrücktgewordenen, nicht mehr kontrollierbaren Erfolg der Band stand, der den Musikern selbst keine Freude mehr machte: 1980 wurde er vor seinem Haus aus wenigen Metern Entfernung erschossen, von einem Fan, der noch wenige Stunden zuvor eine Platte von John hatte signieren lassen. Das letzte Foto, das John Lennon lebend zeigt, zeigt ihn mit dem Attentäter, aufgenommen von einem anderen Fan. Der letzte Raum der Ausstellung ist ganz weiß, mit Gitarre und Flügel, und man verlässt das Museum zu den Klängen von „Imagine“.
Zu Hause entdecke ich das Album „Liverpool 8“ von Ringo Starr, das mir, um ehrlich zu sein, nicht unbedingt gefällt – irgendwie kommt mir alles ein bisschen zu unkreativ und simpel vor, aber vielleicht vergleiche ich auch zu sehr mit den späteren Beatles. Dann stolpere ich über eine Liedzeile: “We were Number One, and it was fun / When I look back, it sure was cool / For those Four Boys from Liverpool”. Wow, denke ich. Ringo Starr hält scheinbar nicht nur nichts davon, sich wichtig zu machen, sondern hat wohl auch mit der Vergangenheit abgeschlossen, und das auf eine überraschend positive Art und Weise. Und dann: Irgendwie verrückt, wie die größten Revolutionen manchmal von denen angezettelt werden, die einfach nur Spaß haben an dem, was sie tun.
The Smiths – There is a Light that Never Goes Out
Take me out tonight
Where there´s music and there´s people
And they´re young and alive The Smiths - There is a light that never goes out
Ähnlich einflussreich für die Musikgeschichte wie die Beatles waren wohl die Smiths, wenn auch vollkommen anders: Nicht nur der Musikstil ist unterschiedlich, sondern The Smiths hatten anders als die Beatles außerhalb Großbritanniens kaum kommerziellen Erfolg. Bekannt wurden sie als eine Art Kultband, nachdem viele große Bands und Künstler wie Radiohead, Oasis, Placebo oder The Libertines angaben, von der Musik der Smiths zu ihrer eigenen inspiriert worden zu sein.
An eines meiner Lieblingslieder muss ich denken, als ich in Liverpool ins Theater gehe – und das, obwohl es in dem Stück um David Bowie geht. Das im kleinen Unity Theatre aufgeführte From Ibiza to the Norfolk Broads erzählt die Geschichte eines Jungen, der zu seinem 18. Geburtstag ein Geschenk seines Vaters bekommt – und sich im Anschluss auf die Suche nach ihm und nach den Spuren von David Bowie in London macht. Ganz ehrlich: Ich habe noch nie ein Theaterstück gesehen, in dem nur ein Schauspieler auf der Bühne stand und dieser es trotzdem schaffte, mich voll und ganz in seinen Bann zu ziehen. Traurig und verstörend, wütend und lustig, so viele Rollen, so viele Emotionen. Ich leide mit, ich lache, habe Herzklopfen und am Ende Tränen in den Augen.
Melancholie und Sarkasmus, Trauer und Witz, aggressive Texte und ruhige Melodien – nach dem Theater laufe ich mit The Smiths und Morrissey auf den Ohren durch das dunkle Liverpool.
The Wombats – Let’s Dance to Joy Division
Go ask for Joy Division
And celebrate the irony.
Everything is going wrong,
But we´re so happy. The Wombats - Let´s Dance To Joy Division
Ich höre viel Musik aus den beiden Städten in Manchester und Liverpool und frage mich immer wieder, ob es eine rote Linie gibt zwischen den Künstlern und ihren Stücken. Gibt es das eine Thema, das sich durch die Jahrzehnte und Musikstiele zieht, vom Mersey Beat über den Punk bis zum 90er-Britpop? Gibt es ein Charakteristikum der Musik in Manchester und Liverpool?
Ist es die Attitude, mit der John Lennon einst behauptete, die Beatles wären berühmter als Jesus, und mit der Morrissey vermutlich jeden und alles, das ihm über den Weg läuft, beleidigt? Zumindest für Manchester hat Noel Gallagher das so formuliert: “We like annoying people. It’s a Manchester thing. It’s a trait. We just like pissing people off.”
Aber je mehr ich höre, desto eher denke ich: Vielleicht ist es auch der ganz spezielle Humor, der so vielen der Lieder innewohnt, der Trotz, den man heraushört, und das ein bisschen Absurde. So, wie The Wombats es besingen: Wenn du dich mal schlecht fühlst, wenn du eine schlimme Woche hinter dir hast, dann lass dir von Musik helfen, lass alles los und tanz zu den deprimierendsten Songs, die du finden kannst. Verlass dich darauf, dass auch dann, wenn alles falsch läuft, noch etwas daraus erwachsen kann. And celebrate the irony.
Keine Ahnung, ob das eine valide Theorie ist für den roten Faden in der Musikgeschichte Manchesters und Liverpools. Aber sie gefällt mir.
Musik erleben in Manchester und Liverpool
- In Manchesters hipsten Viertel, dem Northern Quarter, gibt es einige Orte, an denen abends Livemusik gespielt wird. Ich war im Night&Day, wo lokale Künstler gefördert werden und die Konzerte wenig Eintritt kosten – sehr zu empfehlen!
- Eine coole Sache sind auch Open Mic-Nights – da kann sich jeder Anwesende selbst auf der Bühne versuchen. Ein Verzeichnis darüber, wo man solche Veranstaltungen findet, gibt es hier.
- Das Museum Beatles Story ist nicht was für Hardcore-Fans: Die Räume sind beeindruckend gestaltet, einer stellt zum Beispiel den Club nach, in dem die Beatles anfangs häufig aufgetreten sind, ein anderer beherbergt ein großes Yellow Submarine… So hat jeder etwas zu gucken und nebenbei kann man etwas über die berühmteste Band der Musikgeschichte lernen.
- Die Beatles-Statuen stehen übrigens am Albert Dock in Liverpool.
- Man kann in Liverpool geführte Touren mit Beatles-Thema buchen. Wer sich das Geld sparen möchte, kann sich aber einzelne Punkte aus der Geschichte der Beatles selbst zusammensuchen und eine eigene kleine Stadttour machen, zum Beispiel die Penny Lane, die Strawberry Fields Forever-Tore, den Pavillon im Sefton Park, der die Beatles angeblich zu „Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band“ inspiriert haben soll, den berühmten Cavern Club oder den Casbah Coffee Club. Hier gibt es eine extrem ausführliche Liste für Hardcore-Fans, hier eine kürzere Version mit wirklich interessanten Orten.
Herrliche Bilder! Vielen Dank für den Tipp 🙂