Geschichten

Ein Ort zum Bleiben: Huanchaco in Nordperu

Huanchaco

Allgegenwärtig ist das Rauschen der Wellen in Huanchaco, man hört es, wo man geht und steht, man gewöhnt sich daran und doch zaubert es einem ein Lächeln aufs Gesicht, wenn man es wieder bemerkt, allein die Vorstellung: Da draußen, keine zweihundert Meter entfernt, liegt der Pazifische Ozean, so groß wie alle Kontinente der Welt zusammen, da vorne liegt mehr als die Hälfte des Wassers, was es auf dieser Erde gibt. Immer hätte ich gedacht, in den Bergen, in der Natur, fühlt man sich klein, doch das geht auch am peruanischen Pazifikstrand. Weiterlesen

Gedanken

Grenzgänge: Im Nirgendwo zwischen Ecuador und Peru

Lambayeque Peru

„Por qué será que los ecuadorianos son unos sinverguenzas?“, warum sind die Ecuadorianer nur so unverschämt? Die Grenzbeamte schüttelt den Kopf und sieht auf mich herunter. Ich zucke mit den Schultern und bete innerlich, sie möge mir doch einfach schnellstmöglich einen Stempel in den Pass drücken. Unverschämt, damit meint sie ein älteres Ehepaar, das gerade an die Beamte herantrat, um sich über die lange Warteschlange zu beschweren. Ein paar Meter weiter erneute Diskussionen, es geht tatsächlich darum, dass man zum Überqueren ein kleines Formular ausfüllen muss, das die Beamten sechsmal auf eine Seite gedruckt haben. Da es keine Schere gibt, um aus einem Blatt sechs zu machen und diese den Leuten in die Hände zu drücken, müssen erst mal alle in Ecuador bleiben, rechtlich zumindest, faktisch stehen wir schon auf peruanischem Boden. „Son unos sinverguenzas sí o no?“, sie sind unverschämt, oder?, schiebt die Frau hinterher und wirft einen bitterbösen Blick auf die Diskutierenden. Ich versuche zu beschwichtigen und erkläre, dass wir alle gestresst sind aufgrund der Schlange, die bis zur Straße hinaus reicht. Tatsächlich frage ich mich, wie es sein kann, dass das Fehlen einer Schere einen ganzen Grenzposten lahm legt.

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Geschichten

Indigener Stolz und die Mitte der Welt: Der Markt von Otavalo

Otavalo Markt

„Sie betrachten ein Werk von 1613, an dem hunderte versklavte indigene Männer, Frauen und Kinder arbeiteten.“ Mit diesen Worten wird man am Wasserfall Peguche in Otavalo im Norden von Ecuador empfangen, wo eine Art Aquädukt den Eingang markiert. Na und, mag man denken, ist doch normal, dass den Indigenen hin und wieder ein Denkmal gesetzt wird, schließlich haben sie genug durchlebt. Doch mit ein bisschen Lateinamerika-Erfahrung kommt man nicht umhin, sich zu wundern. All die kolonialen Prunkbauten, die riesigen goldgeschmückten Kirchen, die kolossalen Denkmäler in lateinamerikanischen Städten – sie wurden alle von Indigenen gebaut, und das weder freiwillig noch im Mindesten zu fairen Arbeitsbedingungen. Einen Hinweis, ein Schild, eine kleine Plakette sucht man dennoch vergeblich. In Kirchenführungen wird möglicherweise erwähnt, dass es Indigenen früher verboten war, die Messen zu besuchen. Dass sie die Kirchen trotzdem bauen mussten – darüber spricht man nicht.

In Otavalo dagegen spricht man nicht nur darüber, man schreibt es in goldenen Lettern auf ein großes Holzschild und stellt es mitten vor eine der wichtigsten Attraktionen des Ortes, so dass niemandem entgehen kann: Hier ist etwas anders. Weiterlesen

Geschichten

Da, wo die Wale geboren werden

Puerto Lopez Ecuador

Ich steige in ein Mototaxi und fühle mich angekommen. Der Wind, der die Haare zerzaust, der Staub, der durch die Ritzen kriecht, das Ruckeln auf den ungeraden Straßen, die die dreirädrigen Gefährte häufig zum äußersten Wanken bringen und sie manchmal auch umkippen lassen. Ich folge dem Rauschen des Meeres hinunter zum Strand, brauner Sand, graublaue Weite, helle Gischt. Fast niemand ist unterwegs, einsame Fischerboote wackeln auf den Wellen oder stehen verlassen im Sand, blau, grün und gelb getüncht, mit Zeichnungen von Fischen und religiösen Namen versehen. Welle um Welle erreicht den Strand und gleitet wieder zurück in den Pazifik, diese endlose Wassermasse, die mehr als ein Drittel der Erde einnimmt. Palmen schütteln ihre Blätter im Seewind, Pelikane halten mit eleganten Flügelschlägen dagegen. Obwohl keine Sonne scheint und es Winter ist, haut einen die Hitze einfach um, T-Shirts und Flip-Flops sind hier im gesamten Jahr der Dresscode, wobei: Die Herren verzichten auch gerne auf Letzteres und recken einem ihre Wampe entgegen. Träge liegt ein Hund am Straßenrand, wie so oft fragt man sich, ob er überhaupt noch atmet. Weiterlesen

Gedanken

Was wir wirklich meinen, wenn wir „authentisch“ sagen

Es gibt wohl im Bezug auf das Thema Reisen kaum ein Wort, das so inflationär verwendet wird und dennoch so sehr jeglicher Bedeutung entbehrt wie „authentisch“. Gerade Individualreisende und Backpacker scheinen hauptsächlich loszuziehen, um das zu finden, was „authentisch“ ist. Authentisches Essen, authentische Kleidung und authentische Menschen in einer authentischen Straßenszene. Manchmal kommt es mir so vor, als ob das Wörtchen längst zu einem Kampfbegriff geworden ist, gegen Pauschaltouristen, die in einer Palmen-Scheinwelt leben, gegen alle, die irgendwie „falsch“ reisen oder gar, huch, Urlaub machen!

Gerade bei Backpackern in Lateinamerika grassiert die Idee der Suche nach der Authentizität, nach dem Echten. Doch was ist eigentlich echt, wenn die gesamte Reiseindustrie im Prinzip Scheinwelten vermarktet? Ulrike vom Bamboo Blog hat zu einer sehr spannenden Blogparade aufgerufen – und ich möchte versuchen, ihre Ausgangsfrage zu beantworten: Authentizität auf Reisen, was ist das eigentlich? Weiterlesen

Gedanken

Gretchenfrage

Iglesia La Compania Quito

In Deutschland muss ich über Religion nicht diskutieren. Meine Freunde denken wie ich oder zumindest so ähnlich, sind vielleicht getauft und gar konfirmiert, waren aber zuletzt bei der Hochzeit der Cousine oder mit der Schulklasse in einem Gottesdienst. Die Kirche ist ein schwieriger Verein, denken wir, sie mag vielleicht Menschen Trost spenden, aber gleichzeitig ist sie eine Brutstätte für Machismen, seltsame Hierarchien und schlimme Dinge, die sich daraus ergeben. Meine Freunde, sie sind vielleicht gläubig, aber die meisten im Sinne von „Ich glaube an etwas, das da ist, nicht an eine Institution“, einige sind aus der Religion ausgetreten, der sie durch ihre Eltern angehörten, und diejenigen, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, wissen nicht einmal, warum der Pfingstmontag ein Feiertag ist.

Kurz gesagt: In Deutschland werde ich höchstens vom Finanzamt gefragt, welcher Religion ich angehöre. Glaube, oder in meinem Fall Nichtglaube, spielt absolut keine Rolle in meinem Leben. Meine Meinung zum Thema Religion kann ich so simpel halten, weil ich mich seit Jahren nicht mehr damit auseinandersetzen musste: Ich glaube höchstens an das Gute im Menschen, alle anderen können glauben, was sie wollen, solange sie damit niemandem Schaden zufügen.

Ganz anders ist das hier in Südamerika. Auf die eine oder andere Weise dringt die Religion hier in so viele Bereiche des Alltags ein, dass man auf einmal gezwungen ist, sich tiefer mit ihr auseinanderzusetzen. Eine kleine Suche nach Antworten – und eine große Verwirrung. Weiterlesen

Geschichten

Märchenstunde aus Wales

Rundreise Wales

Grün wogende Hügel, blau glitzerndes Wasser, riesige Felsbrocken, ferne Burgen und Schlösser, mit Efeu bewachsene Schiefermauern, bunte Fischerboote – noch kein Land vorher schien mir derart Kulisse eines Märchens zu sein wie Wales. Vielleicht mag es an unserer spontanen Art zu reisen liegen, an der Einfachheit, die einen zurückversetzt in die Zeit des Wunderns und Staunens, vielleicht spielen auch die Ortsnamen eine Rolle, kaum aussprechbar und umso mystischer, vielleicht haben mich die vielen lokalen Sagen inspiriert, die zu den Landschaften kursieren. Eins weiß ich sicher: Wales wird in meinem Kopf immer das Land der Märchen, der Burgherren und Hexenhäuser, der Riesen und Nixen bleiben.

Deshalb heute, zur Abwechslung nach all den Ecuador-Artikeln, eine kleine Märchenstunde aus Wales, in fünf Geschichten. Inklusive Tipps und Inspirationen für deine eigene Rundreise durch Wales. Viel Spaß! Weiterlesen

Geschichten

Die kleinen Dinge

Quito Altstadt

Ich glaube, zwischen all den Neidisch-Mach-Fotos und abenteuerlichen Geschichten, zwischen den vielen neuen Facebook-Freunden und den Beweisen darüber, wie sehr man sich doch schon eingelebt hat, zwischen all dem fragt sich jeder, der für eine längere Zeit ins Ausland geht, an irgendeinem Punkt, warum er sich das eigentlich antut.

In Peru war dieser Punkt gekommen, als ich mir nach etwa fünf Monaten eine schlimme Mandelentzündung eingefangen hatte und meine Eltern verabschieden musste, die mich zwei Wochen lang besucht hatten. Damals war mein erster Wunsch, mit ihnen in den Flieger zu steigen. Weg von dem Stress und den Unannehmlichkeiten, weg von der langweiligen Arbeit und den komplizierten Freundschaften, wieder zurück in dieses grüne, saubere, leise und komfortable Deutschland, in dem einen einfach jeder versteht.

Nun, in Ecuador, habe ich diesen Punkt gleich bei meiner Ankunft erreicht. Anstatt gemeinsam mit anderen die ersten Tage lang zu Erkundungstouren zu starten und direkt Freunde zu finden, sitze ich in meinem Zimmer und gucke mir auf WhatsApp die Fotos von der Grillparty meiner Freunde an, zu Hause in Deutschland. Nach jetlagbedingten vier Stunden Schlaf verschwimmt alles vor meinen Augen. Weiterlesen

Impressionen

China, deine Tempel

Tempel China

Wer von einer Reise zurückkehrt, sagt gern: Es war wie in einer anderen Welt.

Nie kam mir das so berechtigt vor wie in China. Die für Uneingeweihte völlig unverständliche Schrift, bei der es auch für das Lesen von Ortsnamen nicht damit getan ist, ein paar Buchstaben zu erlernen. Das auf den ersten Blick so homogene Bevölkerungsbild, das sich so deutlich von mir unterscheidet, dass ich nicht einmal die geringste Chance habe, nicht sofort als Ausländerin aufzufallen. Und die völlig anderen kulturellen Codes, Symbole und Philosophien.

Wer als Ausländerin nach China kommt, muss notgedrungen seinen Horizont erweitern und feststellen, dass die vermeintlich selben Begriffe hier ganz andere Dinge meinen. Es gibt eine andere Vorstellung von Dimensionen und Größen, von Nation und Nationalität, von Politik und Demokratie – und eben auch von Religion und Philosophie. Weiterlesen

Gedanken

„Buen Vivir“ – Ein Recht aufs gute Leben?

Landschaft Anden

Wenn man sich im Politikstudium mit so „exotischen“ Themen wie dem „Buen Vivir“, indigenem Wissen oder sozialen Bewegungen in den Andenländern Südamerikas beschäftigt, bekommt man oft verwirrte Blicke zugeworfen. So auch beinahe jedes Mal, wenn ich erklärte, dass es in meiner Bachelorarbeit um indigene Justiz in Bolivien geht. Hä? Was ist eigentlich indigen? Was hat das mit Politik zu tun? Und warum interessiert dich das überhaupt?

Wenn ich dann ein bisschen weiter erzähle und von der aktuellen politischen Situation verschiedener Länder in Südamerika berichte, habe ich schließlich doch oft das Interesse meines Gegenübers geweckt. Bolivien, Ecuador, Peru – das sind schließlich Länder, bei denen man eher Lamas und Panflöten im Kopf hat als innovatische politische Ideen.

So kam mir der Einfall, doch auch einmal auf dem Blog über die Themen zu schreiben, mit denen ich mich im Studium und darüber hinaus beschäftige – natürlich etwas anders verpackt als in Hausarbeiten & Co. Den Anfang möchte ich mit diesem Artikel zum Thema „Buen Vivir“ machen. Weiterlesen