Musikinstrumente sind eine Wissenschaft für sich – wenn etwas Klang erzeugt, dann kann jeder Millimeter Holz oder Metall einen Unterschied machen. Die Musikinstrumentenbauer im sächsischen Vogtland vereinen seit Jahrhunderten handwerkliches Können und das perfekte Gehör, um in Handarbeit Instrumente herzustellen, die von Hobby- und Profi-Musikern auf der ganzen Welt genutzt werden. Die Geschichte eines Besuchs bei ganz besonderen Künstlern.
Musik berührt, wie das kaum eine andere Kunstform schafft. Sie kann Menschen von einer Sekunde auf die andere zum Tanzen bringen, ihnen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern, ihre Stimmung komplett lösen. Lieder und Töne können eine therapeutische Wirkung haben, uns an etwas Schönes erinnern oder uns dabei helfen, schwierige Phasen im Leben durchzustehen. Es gibt wohl kaum einen Menschen, der von sich sagt, dass er nicht gerne Musik hört – ganz gleich, welche Richtung. Und wer einmal einen Horrorfilm ohne Ton gesehen hat, der kann erst recht nicht mehr leugnen, dass das, was wir hören, unsere Wahrnehmung irrsinnig beeinflussen kann.
Die Wirkung von Musik
Musik ist etwas, das faszinierenderweise in unserem Leben keine große Rolle spielen muss, um doch eine große Wirkung zu haben. Ich selbst bin höchstens geringfügig musikalisch und erinnere mich an den Klavier- und Gitarrenunterricht zu Schulzeiten heute eher mit Magenschmerzen. Singen geht für mich höchstens auf Karaoke-Niveau und wenn jemand am Lagerfeuer die Gitarre auspackt, wippe ich eher mit dem Fuß mit. Ich kann nur wenige Bands und Lieder zuordnen, und noch schlechter kenne ich mich aus mit klassischer Musik. Bei mir zu Hause läuft das, worauf ich gerade Lust habe – viel lateinamerikanische Musik, spanischer Poprock, Electro Swing, hin und wieder der eine oder andere Soundtrack, häufig die Beatles, und noch häufiger ein paar Bands, die sich absolut nicht zuordnen lassen. Musikexperten rollen sich bei meinen Playlists vermutlich die Fußnägel auf.
Doch auch, wenn Musik bei mir hauptsächlich im Hintergrund läuft: Alles, was live ist, fasziniert mich. Vollkommen egal, ob ein Indie-Singer-Songwriter mit Gitarre auf der Bühne steht, eine Electro-Swing-Band spielt, ein DJ aus elektronischen Tönen Lieder erschafft oder ein ganzes Orchester Mozart oder Beethoven spielt – solange es live ist, bin ich begeistert. Es ist einfach immer wieder wunderschön, Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich vollkommen verlieren in der Musik, die sie spielen, die sie kreieren, wie sie in ganz anderen Welten schweben und vom Applaus und der Stimmung der Menge getragen werden.
Wenn mich jemand nach meinem Musikgeschmack fragt, kann ich es nicht anders sagen: Live-Musik begeistert mich.
Faszination Instrumente
Ich glaube, ein Teil meiner Faszination für Musiker, die vor mir auf der Bühne stehen, liegt in den Instrumenten. Fein polierte Geigen oder gold glänzende Saxophone haben einfach eine ganz eigene Ästhetik. Und obwohl die Teile so kompliziert und mysteriös aussehen, mit ihren Saiten, Klappen und Schaltern, wirkt es wie das Einfachste der Welt, wenn ein Musiker damit die schönsten Lieder spielt. Noch dazu sind kleine Instrumente wie Gitarren oder Flöten so leicht mitzunehmen – Stimmung und Begeisterung to go, sozusagen.
Instrumente sind eine Wissenschaft für sich. Die klassischen Instrumente haben ihre Form seit Jahrhunderten kaum verändert – und doch gibt es für den Bau eines wirklich guten Musikinstrumentes kein einfaches Geheimrezept. Erfahrung, Genauigkeit und Leidenschaft sind das, was zählt – und das ist einer der Gründe, warum die Musikinstrumentenbauer im sächsischen Vogtland heute noch auf Handarbeit setzen. 126 Betriebe gibt es in der Region, darunter sind zwar ein paar mittelständische Unternehmen, aber auch viele selbstständige Meister, die mit Hilfe der Familie oder von Lehrlingen arbeiten.
Metallblasinstrumente mit Leidenschaft
Ein Beispiel dafür ist die Meisterwerkstatt HSM, wo Vater und Sohn gemeinsam Trompeten, Hörner oder Posaunen herstellen. Die Werkstatt liegt einmal quer durch den Hinterhof, am Wohnhaus vorbei. Wer die schmale Treppe hinaufsteigt, kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie die beiden Männer es schaffen, hier mit den Materialien und Instrumenten zu hantieren – eine große Tuba müsste eigentlich beinahe schon stecken bleiben. Überall liegen verschieden geformte Metallrohre und -trichter. Mit Holzwerkzeugen werden die Teile in Form geklopft und gebogen – dabei ist die richtige Mischung aus Kraft und Fingerspitzengefühl wichtig. Anders als bei anderen Metallarbeiten verzeiht ein Instrument sehr viel weniger: Jede Delle, jede Beule hört man schließlich, wenn man die ersten Töne anspielt.
Um so genau zu arbeiten, muss man mit Leidenschaft dabei sein. Stephan Schmidt, der Sohn, erzählt, dass er immer schon Musikinstrumente bauen wollte. Bei der Berufsberatung in der Schule sorgte das für Unmut: „Sie meinten, du musst noch einen zweiten Beruf angeben. Ich hab gesagt, ich will aber Instrumentenbauer werden!“
Die Instrumente entstehen meist als Auftragsarbeiten und werden mit dem Musiker genauestens abgesprochen. So erhält man am Ende ein individuelles Instrument – in einer Tuba stecken dabei zum Beispiel 160 bis 200 Stunden Arbeit. Dank der Werbung auf internationalen Messen werden die Hörner und Tuben in die ganze Welt verkauft, sowohl an Profimusiker als auch an Laien. Und auch, wenn der Vater-Sohn-Betrieb noch so traditionell erscheint, haben die beiden quasi ein neues Instrument erfunden: Wer im Orchester Tuba spielt, muss sich bei jedem Lied entscheiden, ob eine Bass- oder Kontrabasstuba genutzt werden soll – die beiden Instrumente sind auf eine andere Tonhöhe gestimmt. Herrmann und Stephan Schmidt haben einen Mechanismus entwickelt, wie man beide Stimmungen auf einer Tuba spielen kann – damit haben sie die spielbaren Töne auf einem Instrument also sozusagen verdoppelt.
Der „Musikwinkel“ und der Geigenbau
Dass es in der Region um Markneukirchen im südöstlichen Sachsen zu einer derartigen Konzentration an Musikinstrumentenbauern kam, war eher Zufall: Evangelische Geigenbauer aus Böhmen siedelten sich vor 350 Jahren in der Region an, weil sie in ihrer Heimat ihre Religion nicht mehr ausüben durften. Im Laufe der Jahre wurden auch Blasinstrumente produziert. Mittlerweile gibt es kaum ein europäisches Instrument, das im Vogtland nicht hergestellt werden könnte.
Um 1900 kamen vier von fünf Instrumenten auf der Welt aus Markneukirchen und Umgebung. Das hat sich in der Architektur der Stadt niedergeschlagen: Regelrechte Villen, die sich reiche Händler damals bauen ließen, prägen das Bild.
In einem der riesigen, reich verzierten Häuser ist heute eine der wohl ungewöhnlichsten Hochschulen Deutschlands untergebracht: An der Hochschule für Musikinstrumentenbau kann man seinen Bachelor in Streich- oder Zupfinstrumentenbau machen. Theoretische Module über die Ästhetik und Geschichte von Instrumenten wechseln sich mit Kursen über Werkstoffe, Handwerkstechniken und Holzbildhau ab. Anders als an den meisten Unis und Hochschulen sitzen die Studenten für ihre Semesterarbeiten nicht am PC, sondern stehen an Schraubstöcken und zwischen Tiegeln mit Leimen und Lacken.
Hätte ich nicht zwei linke Hände, ich könnte glatt neidisch werden, so aufgeladen ist die Atmosphäre mit Kreativität, Konzentration und Begeisterung. Geigen und Gitarren hängen von den Decken, an Pinnwänden haben die Studenten Baupläne aufgehängt, überall liegt Werkzeug zwischen Holzspänen, Stiften und Pinseln – kreatives Chaos eben. An einem Freitagvormittag sind noch nicht so viele Studenten an der Arbeit, dafür wird häufig bis in die Nacht hinein geschraubt, gesägt, gehobelt und geleimt. Das Studium in einer so kleinen Hochschule an einem so kleinen Ort ist natürlich anders, aber das sind auch die meisten Studierenden hier: Viele sind Quereinsteiger und haben vorher schon in verschiedenen Handwerksberufen gearbeitet.
Genauigkeit und Intuition
Besonders fasziniert mich die Frage, wie man beim Bau den späteren Klang beeinflussen und berücksichtigen muss. Tatsächlich hören kann man das Instrument schließlich erst, wenn es einmal fertig ist – und dann kann nicht mehr viel geändert werden. Die einzelnen Teile müssen also vollkommen nach Gefühl gefertigt werden. Und wer einmal irgendwo zu viel Druck ausübt und Deckel oder Boden zu fest im Schraubstock einspannt, muss komplett von vorne anfangen. Was für ein Unterschied zu den sinnlosen, unschönen und uninspirierten Texten, die ich in der Uni schreibe und die sich doch mit zwei Mausklicks wiederherstellen lassen, wenn ich einen Fehler gemacht habe!
Gerade bei der Geige hat sich in den letzten Jahrhunderten kaum etwas in Form und Funktion geändert – die einzige Möglichkeit, ein Instrument noch besser zu machen, liegt in der noch feineren und genaueren Bearbeitung der Einzelteile. Da die Werkstätten im Vogtland meistens sehr klein sind und bei den Handwerkern zu Hause liegen, hat man in der Region nach einer Möglichkeit gesucht, Besuchern und Interessierten das Handwerk außerhalb der traditionellen Herstellungsorte zu präsentieren. Mit dieser Motivation ist die Erlebniswelt Musikinstrumentenbau entstanden. Hier kann man nicht nur verschiedene Ausstellungsstücke rund um die Herstellung von Instrumenten bewundern, sondern in Vorführungen auch live erleben, wie Geigen, Kontrabässe oder Gitarren hergestellt werden.
Sogar aufs Holz kommt es an
Geigenbaumeister Stefan Rehms hobelt vor seinem Publikum vorsichtig an einem Stück Holz, das einmal der Boden für eine Geige werden soll. Er erklärt, dass die Handarbeit vor allem daher wichtig ist, weil jedes Stück Holz anders ist. Anders als die Maschine, die jedes Teil gleich behandelt, kann ein Meister in Handarbeit die verschiedenen Eigenarten des Holzes ausgleichen, um das Beste aus dem Material zu holen – selbst Nord- und Südseite des selben Baums sind dabei unterschiedlich. Noch dazu hat jeder Musiker andere Vorstellungen vom Klang seines Instrumentes. Das mögen zwar Unterschiede sein, die ein ungeübtes Ohr nicht einmal wahrnimmt, doch sie lassen sich über die Handhabung des Holzes beeinflussen.
Nötig ist für den Bau übrigens das Holz von Alpenfichten, die auf 1.800 Metern wachsen – nur sie haben die richtige Härte. Und bevor das Holz überhaupt genutzt werden kann, muss es dreißig oder eher fünfzig Jahre lagern, damit die Feuchtigkeit entweichen und das Holz fertig „arbeiten“ kann.
So viel Arbeit – doch wenn man ehrfürchtig vor einem der Instrumente steht, weiß man, dass es das wert war. Und wie sehr mag erst jemand begeistert sein, der die Geigen und Tuben selbst spielt, anstatt sie nur still zu bewundern?
Der Musikwinkel rund um Markneukirchen: Mehr Informationen
Der „Musikwinkel“ |
Der „Musikwinkel“ im sächsischen Vogtland umfasst die Orte Markneukirchen, Erlbach, Klingenthal und Schöneck und die dazwischen liegenden Gemeinden. Dank der Erlebniswelt Musikinstrumentenbau kann man gerade in Markneukirchen die Geschichte und die Leidenschaft der Instrumentenbauer live und eindrücklich erleben. |
Lage und Anreise |
Wie überall auf dem Land ist ein Auto praktisch. Markneukirchen liegt, grob gesagt, zwischen Leipzig und Nürnberg, direkt an der tschechischen Grenze. Nach Hof sind es etwa 40 Kilometer, nach Karlsbad in Tschechien etwa 55. Für alle, die in der Mitte Deutschlands wohnen, ist das Vogtland daher ein idealer Zwischenstopp für eine Reise ins östliche Nachbarland – von Karlsbad aus sind es auch nur noch 130 Kilometer bis nach Prag. |
Aktivitäten |
Wer eine Reise in die Erlebniswelt Musikinstrumentenbau plant, sollte sich vorher ankündigen. Normalerweise werden dort Führungen und Vorführungen für Gruppen organisiert, als Einzelperson kann man jedoch gut „dazugesteckt“ werden. Für besonders Interessierte gibt es auch ein Museum für Musikinstrumente. Ansonsten kann man einen Besuch in der Region im Sommer auch wunderbar mit einer Wanderung verbinden – im „Dreiländereck“ zwischen Bayern, Sachsen und Böhmen gibt es einige Wege in fast vollkommen unberührter Natur. |