Spielzeug Erzgebirge

Die Geheimnisse der Spielzeugmacher

Als ich den Laden betrete, werde ich aus Hunderten von Knopfaugen angestarrt. Teddys, so weit das Auge reicht. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass ich nicht einer einheitlichen Bärenarmee gegenüberstehe, sondern jeder einen ganz eigenen Charakter hat. Es gibt große Teddys und sehr kleine, es gibt sie in verschiedenen Farben und mit verschiedenen Gesichtsausdrücken, und manche haben sogar noch Bilder und Zeichnungen auf dem Bauch. Bei der Teddymanufaktur Martin gehört das sozusagen zur Geschäftsstrategie: Jeder soll hier „seinen“ Bären finden. Das geht sogar so weit, dass man sich den eigenen Bär individuell aus alten Hemden oder Jeans nähen lassen kann.

Das Teddybären-Trauma

Sina Martin, die die Manufaktur in fünfter Generation führt, erzählt, warum diese Idee aufgeht: Viele Menschen kommen zu ihnen, weil sie den einen Teddy suchen, den sie in der Kindheit verloren haben oder der von den Eltern weggeworfen wurde, als er zu „zerliebt“ aussah – oder zumindest einen Teddy, der diesem möglichst ähnlich sieht. Nicht wenige Kunden beginnen mit so einem „Teddybären-Trauma“ und entwickeln sich nach und nach zu passionierten Teddybären-Sammlern. Heute bietet die Familie Martin zwei verschiedene Bären-Linien, Weiche zum kuscheln und etwas Festere zum sammeln.

An der Umsetzung arbeiten im Herzen des thüringischen Örtchens Sonneberg sechs Mitarbeiter – nur noch. Während es früher für jeden Arbeitsschritt einen eigenen Ausbildungsberuf gab, ist die Stadt Sonneberg heute einer der wenigen Orte in Deutschland, in denen man sich überhaupt noch zum „Spielzeugmacher“ ausbilden lassen kann. Die goldene Zeit des Ortes als „Spielzeugstadt“ ist schon seit einer ganzen Weile vorbei. Nur noch wenige Betriebe in der Stadt existieren, Spielzeug ist heute eher „Made in China“. Der Niedergang, der bereits mit dem zweiten Weltkrieg begonnen hatte, setzte sich unter DDR-Kollektivierung fort. Nach 1990 bemühten sich nur noch wenige, die metaphorischen Scherben wieder aufzusammeln, Kundenbeziehungen neu aufzunehmen und zu retten, was überhaupt zu retten war.

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Spielzeugstadt im Niedergang

Mit dem Wegfall von Manufakturen und der schwierigen Suche nach Nachwuchs geht handwerkliches Wissen schnell und häufig sang- und klanglos verloren. Die festen Sammler-Teddys aus dem Haus Martin werden beispielsweise mit Hilfe einer speziellen, schwierigen Technik mit Holzwolle gestopft. Doch der „Stopfer“, der diese Aufgabe übernimmt, ist bereits 70 – und einen Nachfolger gibt es nicht. So müssen wohl bald alle Bären mit Füllwatte gestopft werden. Doch die wenigen verbliebenen Manufakturen arbeiten gemeinsam mit der Stadt daran, diesem Prozess Einhalt zu gebieten und das Thema „Spielzeug“ gezielt zu fördern. So ist auf dem Stadtlogo mittlerweile eine Spielfigur zu sehen, und auf dem Weg durch die Stadt begegnet man nicht nur dieser, sondern auch Teddy-Statuen.

Als ich sie zum Abschluss frage, welcher der Teddys denn ihr Liebster ist, muss Sina Martin erst einmal überlegen – schließlich ist sie quasi dazu verpflichtet, jeden einzelnen davon zu mögen. Doch dann holt sie schließlich einen Bär mit Hut und gestreiftem Hemd aus ihrem Büro: „Der liegt bestimmt schon seit anderthalb Jahren auf meinem Schreibtisch, aber ich schaffe es nicht, einen Preis festzulegen. Ich bringe es nicht übers Herz.“ Es mag zwar nicht mehr viele Spielzeughersteller in Sonneberg geben, aber die wenigen machen das mit Leidenschaft und Herzblut wett.

Spielzeug Sonneberg

Weltberühmtes Können

Dass die Spielzeugherstellung sich gerade in Sonneberg etablierte, ist ebenfalls kreativen und engagierten Menschen zu verdanken. Sonneberg lag günstig in der Nähe waldreicher Gebiete und auf viel besuchten Handelsrouten. Doch Weltruhm erlangte der Ort erst, als man Anfang des 19. Jahrhunderts Pappmaché zur Herstellung von Spielfiguren nutzte. Bereits vorher hatte man plastische Figuren modelliert – der mit Mehl hergestellte Teig fiel jedoch häufig Ratten oder Feuchtigkeit zum Opfer. Nun konnte man nicht nur haltbare Figuren herstellen, sondern auch feiner formen.

Die auf der Weltausstellung 1910 präsentierte Kirmes-Szene mit lebensgroßen Mensch- und Tierfiguren versetzte die Menschen in Erstaunen. 34 Manufakturen und die Schüler der damaligen Industrieschule hatten daran gearbeitet – heute kann man sie im Spielzeugmuseum bewundern. Innovativ war dabei nicht nur die Herstellungsart, sondern auch die Präsentation an sich: Anstatt die Dinge auszustellen, die zu Verkauf standen, zeigte man das Höchste des eigenen Könnens, indem man eine Geschichte damit erzählte – wie in einer Art erstem „Werbefilm“.

Die Reifendreher im Erzgebirge

Auch das 200km entfernte sächsische Erzgebirge kann seine Spielzeuggeschichte auf eine Innovation zurückführen: Die „Reifendreher“ schufen eine Methode für eine frühe Form der Massenproduktion. Anstatt Holzfiguren einzeln zu schnitzen, schnitt man runde Reifen aus einer Holzscheibe. Dann schnitt man diese über einer speziellen Holzdrehbank, die mit Wasserkraft betrieben wurde, so zurecht, dass im Querschnitt die Kontur der gewünschten Figur entstand. Anschließend können aus dem Ring verschiedene Segmente abgespalten werden – etwa fünfzig pro Ring. Diese werden geschliffen, bekommen Flügel oder Hörner und werden bemalt.

Diese Technik, die vor etwa 200 Jahren entstand, war damals so revolutionär, dass Fremde die Werkstätten nicht einmal betreten durften: Zu groß war die Gefahr, dass jemand etwas an Konkurrenten ausplauderte. Die kleine Revolution, die die Erzgebirger Spielzeughersteller geschaffen hatten, half ihnen dabei, viel schneller und damit günstiger zu arbeiten als das an anderen Orten möglich war. Dazu trug jedoch wie in Sonneberg auch die traditionelle Art der Produktion bei – eine Schattenseite der „Spielzeugstädte“: Da in Heimarbeit hergestellt wurde und häufig auch Kinder mitarbeiten mussten, konnte man Personalkosten sparen.

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Von Nostalgie – und dem Blick auf’s Heute

Auch im Erzgebirge wurde das Reifendreher-Handwerk immer weiter zurückgedrängt, heute gibt es noch 8 Menschen, die das Handwerk aktiv beherrschen – und seinen Lebensunterhalt verdient tatsächlich nur noch einer damit. Klar, selbst die beinahe in Massen hergestellte Reifentiere sind so aufwendig und teuer, dass man heute keinem Kind mehr die halbe Besetzung der Arche ins Zimmer stellen möchte. Doch wie ich so im Freilichtmuseum in Seiffen stehe, die Tierfiguren ansehe und gleichzeitig an die Sonneberger Teddys denke, überkommen mich fast nostalgische Gefühle.

Ein Teddybär ist schließlich der ideale Gefährte – er ist sozusagen geschlechtsneutral und man wächst nicht so schnell aus ihm heraus. Hand aufs Herz, wer hat nicht das Lieblingsstofftier aus der Kindheit aufgehoben, selbst nachdem es zum zehnten Mal geflickt werden musste?! Und die Holzfiguren aus dem Erzgebirge regen wohl wie kaum ein anderes Spielzeug die Kreativität an, laden ein zum eigenen Geschichtenerzählen. Die Schnitz- und Malarbeit kann dabei auch Teil des Spiels sein: Die Figuren lassen sich als „Rohlinge“ kaufen und nach eigenem Belieben gestalten.

Sonneberg und Seiffen sind zwei Orte, die mit dem Image als „Spielzeugstadt“ werben, und das zu Recht: Jedes Gebäude erzählt hier irgendeine Geschichte, die mit Spielzeug verbunden ist. Doch bei aller Begeisterung für das Historische muss ich an die Worte der Sonneberger Museumsleiterin Reinhild Schneider denken: Natürlich ist es schön, die alten Geschichten zu erzählen – doch noch viel wichtiger ist es, das zu achten und zu wahren, was heute noch besteht. Und dafür zu sorgen, dass lang gehegte Handwerksgeheimnisse nicht aussterben – sondern stattdessen noch einige Kinderaugen leuchten lassen.

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Transparenzhinweis
Nach Sonneberg wurde ich von Thüringen Tourismus eingeladen, die Reise ins Erzgebirge wurde durch Sachsen Tourismus ermöglicht. Der Aufenthalt für Recherchezwecke an beiden Orten war für mich kostenlos. Meine Begeisterung ist allerdings unbezahlbar – in diesem wie in allen Artikeln veröffentliche ich stets meine ehrliche Meinung.

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