La Ronda Quito

Von Geheimfächern und Schokolade: Handwerk in La Ronda, Quito

In der kleinen Werkstatt riecht es leicht nach Gas, das braucht man, um das Metall zu erwärmen. Die Wände sind behängt mit filigran verzierten Kunstwerken aus Gold, Silber und anderen Materialien, das meiste sind kirchliche Motive, die vielen Kirchen in Quitos Altstadt brauchen ihn, den Restaurateur. Werkzeuge liegen herum, scheinbar chaotisch, und trotzdem findet er mit einem Handgriff die richtige Zange, den Meißel mit der richtigen Spitze. Er rückt die Brille auf der Nase zurecht und beginnt zu klopfen, in einer Geschwindigkeit, die mich erstaunen lässt. Der Hammer saust herunter, schnell und präzise wie eine Maschine. Er nimmt die Geräte beiseite und zeigt mir das filigrane Blumenmuster, das entstanden ist, symmetrisch und genau. „Ich habe das hier von meinem Vater gelernt“, erzählt er, „und das kannte es von seinem Vater.“ Ob er hier ganz allein arbeitet, will ich wissen, und er zuckt mit den Schultern. „Wenn es sehr viel Arbeit gibt, helfen mir meine Frau und meine Söhne. Es ist ein Familienbetrieb.“

Altes Handwerk fasziniert mich. Ich bin begeistert davon, dass manche Dinge eben nicht maschinell hergestellt werden können, dass es immer noch einen Unterschied gibt zwischen der Arbeit per Hand und der Fabrikherstellung, selbst heute. Davon, dass es noch immer Familien gibt, in denen das Wissen der Vorfahren mündlich weitergegeben wird, und vor allem davon, dass dieses Wissen heute immer noch eine Berechtigung hat, manchmal sogar überlebensnotwendig ist, und in vielen Fällen einen Unterschied machen kann, zum Beispiel in ökologischer Hinsicht. Es mag sein, dass viele Entwicklungen hin zu einer besseren Welt sich in neuer, umweltschonender Technologie finden lassen, aber ich denke, dass viele Ideen für ökologische, ressourcenschonende und effiziente Arbeitsweisen bereits existieren, sozusagen mitten unter uns, und dass wir das Alte, fast Vergessene bewahren sollten.

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Im Studium habe ich mich mit indigenem Wissen in den Anden beschäftigt, und seitdem bin ich auf der Suche nach altem, überliefertem Wissen, überall, in den Städten Südamerikas genauso wie im ländlichen Bayern, in den Bergen Portugals und in den verwinkelten Gassen europäischer Kleinstädte. Ich habe gelesen von Bauern in Süddeutschland, die seit jeher Bäume nur bei abnehmendem Mond fällen, und von Schäfern in der Serra de Estrela in Portugal, ich habe recherchiert zu Naturheilmitteln im Amazonas, die nur die dortigen Schamanen kennen, und bin begeistert über Märkte und durch Werkstätten geschritten. Das Thema altes Handwerk und überliefertes Wissen soll in nächster Zeit einen Platz auf meinem Blog finden, und damit möchte ich euch Ideen, Arbeitsweisen und Geschichten rund um den Globus vorstellen – aus Ecuador und dem Allgäu, aus Portugal und aus Estland.

Es mag sein, dass nur ich mich derart für das Thema begeistern kann, als Stadtkind, das keine Ahnung hat, wie man irgendetwas selbst herstellt, aber ich hoffe, dass es vielen ähnlich geht wie mir und dass ihr gespannt seid auf Einblicke in Familienbetriebe und Bauernhöfe, in Start-Ups und Arbeitszimmer. Ich suche dabei nicht nur nach den alten, authentischen Betrieben, ich finde es vor allem spannend, wenn alte Ideen kreativ weiterverwendet werden, wenn das Alte nicht um seiner selbst willen bewahrt wird, sondern um etwas Neues, Spannendes daraus zu schaffen. Ich freue mich, wenn ihr mich auf meiner Reise virtuell begleitet!

Aber zurück in die kleine Metallwerkstatt in Quito. Gemeinsam mit anderen Werkstätten liegt diese in der Straße La Ronda, mitten in der Altstadt. Das Tourismusbüro der Stadt hat die Häuser hier angemietet, renoviert und schließlich an lokale Handwerksbetriebe vermietet. Als Besucher kann man die Werkstätten heute kostenlos besuchen und den Handwerkern bei der Arbeit zusehen. Die Räume sind klein, meistens arbeiten hier nur eine oder maximal zwei Personen, alle sind Experten in Handwerkstraditionen, die schon lange vor ihrer Geburt existierten, viele bilden Jugendliche aus, die den Betrieb einmal übernehmen sollen. Auch, wenn La Ronda heute eine Touristenattraktion ist, arbeiten die meisten Werkstätten nicht ausschließlich für Touristen. Klar, jeder präsentiert einige Ausstellungsstücke, die auch direkt gekauft werden können, doch die meisten Arbeiten sind Aufträge von historischen Gebäuden und vor allem von Kirchen und Klöstern in der Altstadt Quitos. Alt-Quito wurde 1978 als erste Stadt überhaupt von der UNESCO als Weltkulturerbe aufgenommen und ist heute die größte und am besten erhaltene Altstadt Lateinamerikas – diesen Ruf will man sich selbstverständlich bewahren. Und bei den Kirchen der Stadt, die so überwältigend, beinahe übertrieben, geschmückt sind, dass sie Beinamen wie „die Kirche des Goldes“ tragen, gibt es für Restaurateure immer etwas zu tun.

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Für die Kirchen Quitos arbeitet auch die Holzwerkstatt nebenan. Hier werden Statuen, vor allem Engel und Christusfiguren, nach der Tradition der Quitoer Schule gefertigt, einer Kunstrichtung, die sich während der Kolonialzeit in der Stadt entwickelte und nach der die meisten Statuen und Bilder in den Kirchen gefertigt wurden. Ich finde die realistischen Figuren, die oft mit Stoff eingekleidet wurden, eher unheimlich, und bin doch fasziniert davon, wie hier in mühevoller Kleinstarbeit, Schlag um Schlag, Gesichter, Körper und Hände aus Holzklötzen entstehen. An einem Schraubstock arbeitet ein Deutscher Handwerker auf der Walz an einer großen Hand, misst die Verhältnisse zwischen den Fingerteilen an seiner eigenen Hand ab und schlägt dann die passenden Späne aus dem Holz.

Spannend sind auch die Schubladenkisten, die in der Werkstatt stehen, ebenfalls eine Tradition aus Quito. Früher hatten vor allem Staatsmänner und Handelsleute solche Kisten, und ließen sich verschiedenste Geheimfächer einbauen. In einer derartigen Kiste, in der man von vorne nur vier oder fünf Schubladen erkennen kann, befinden sich gut und gerne dreißig oder vierzig einzelne Schubladen. Die verstecktesten davon wurden für wichtige Geheimdokumente genutzt. Damit diese auch wirklich niemand fand, wurde der Schreiner als der einzige, der alle Fächer kannte, getötet oder ihm wurde die Zunge herausgeschnitten. Weniger blutrünstige Herrschafften schickten ihren Schreiner auf Reise und verboten ihm, jemals zurück nach Quito zu kommen. In manchen dieser Kisten waren sogar Selbstzerstörungsmechanismen eingebaut – wenn jemand versuchte, das Holz zu zerschlagen, um an den Inhalt zu gelangen, zerplatzte eine Tintenpatrone und machte die Dokumente unlesbar.

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Heute können die Schreiner in Quito gefahrlos arbeiten, versteckte Schubladen sind im digitalen Zeitalter höchstens eine Spielerei. Aufwändig bleibt die Herstellung der Kisten dennoch, für größere benötigt der Schreiner in La Ronda einen ganzen Monat. In dieser Zeit werden nicht nur die einzelnen Schubladen gefertigt, sondern die Kiste wird auch kunstvoll verziert und bemalt. Dieses Handwerk hat der Werkstattsbesitzer in einer Schule gelernt, von einem alten Meister. Er wünscht sich nun, selbst einmal jemanden anzulernen – zumindest an die jungen Leute aus Europa, die ihn besuchen, kann er sein Wissen bisher weitergeben.

Die Kisten aus der Werkstatt in La Ronda wurden in der Vergangenheit übrigens als Staatsgeschenk benutzt – wenn ein Staatsoberhaupt eines anderen Landes zu Besuch kam, überreichte der ecuadorianische Präsident eine Kiste. Wer weiß, ob nicht doch in einem Präsidentenbüro irgendwo auf der Welt geheime Dokumente in einer versteckten Schublade eines ecuadorianischen Handwerksmeisters liegen?!

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Auch in der Werkstatt nebenan geht es um Holz: Ein älterer Herr fertigt Kreisel und andere Spielzeuge. Die Holzkreisel, angetrieben durch eine lange Kordel, waren früher ein alltägliches Bild auf den Straßen lateinamerikanischer Städte. Heute sieht man sie kaum noch, Holzkreisel sind eben nicht so spannend wie Internet und Fernsehen. Dabei muss man echt üben, bis man den richtigen Schwung drauf hat – meine zögerlichen Versuche scheitern kläglich, unter Gelächter des ganzen Raumes. Doch Kreisel sind nicht das einzige, was hier hergestellt wird: Einige der Spielzeuge, die der Herr verkauft, wurden so schon während der Zeit der Inka gebaut und bespielt.

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Noch spannender ist Handwerk ja, wenn man mit dem Ergebnis sofort etwas anfangen kann. Zum Beispiel essen. Zwar liegt die Fabrik der Eisdiele Dulce Placer in einem anderen Teil von Quito, doch in La Ronda werden die verschiedenen Sorten kugelweise verkauft. Seit etwa zwei Jahren gibt es die Eismanufaktur, in der 350 Sorten hergestellt werden, alle aus frischen, natürlichen Produkten. Das Spannendste an Dulce Placer ist die Tatsache, dass die Sorten nicht irgendwelche sind. Anstatt mit Nutella und Keks-Eis zu trumpfen, werden gezielt Früchte, Süßigkeiten und Samen verwendet, die in Ecuador heimisch und für das Land typisch sind. Maracuja-Chili-Eis findet sich so neben Schoko-Guanábana, der süßlichen grünen Frucht, die an jeder Straßenecke verkauft wird, oder Eis mit Geschmack nach Humita, einem süßen Maisbrei, eingewickelt in Bananenblätter, den man hier gerne zum Frühstück isst. Samen wie Chia, Quinoa und Amaranth, die zwar nicht alle aus Ecuador stammen, aber doch hier angebaut werden, geben dem Eis eine interessante Note. Lecker sind auch die verschiedenen Sorten, die typisch lateinamerikanischen Cocktails nachempfunden wurden, wie Margarita oder Cuba Libre. Die für Besucher überraschendste Eissorte ist wahrscheinlich „Caca de perro“, Hundekacke. So nennt sich hier ein halb-gepoppter Mais, der mit einer Schicht aus braunem Zucker überzogen wird und einfach großartig schmeckt, nicht nur in Eis-Form.

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Caca de perro gibt es auch bei Hoja Verde, einer Schokoladenmanufaktur. In den letzten Jahren haben immer mehr Unternehmen das unglaubliche Potential Ecuadors im Bereich Kaffee und Schokolade entdeckt. Die ecuadorianische Schokolade gilt als eine der besten der Welt – bisher war es dennoch oft so, dass die hochwertigen Kaffee- und Kakaobohnen nur für den Export produziert wurden. Daheim aß man Hershey’s aus den USA und trank Instant-Pulver von Nestle. Langsam passiert aber ein Wandel und es gibt immer mehr kleine lokale Hersteller, die bio und fair produzieren und hochwertige Schokolade und tollen Kaffee auch in die ecuadorianischen Supermärkte bringen. Der junge Mann von Hoja Verde, der mir den Herstellungsprozess von der Pflanze zur Tafel zeigt, erzählt, dass langsam auch ein Wandel im Konsum stattfindet: „Anfangs wollten die Leute nur die süße Milchschokolade. Aber langsam kommen immer mehr Leute auf uns zu, die nach den Riegeln mit 60 oder gar 80 Prozent Kakao fragen.“

Auch bei Hoja Verde setzt man auf bekannte Zutaten aus Ecuador. Riegel und Schoko-Bonbons werden mit Mora, einer in den Anden heimischen Brombeersorte, mit Maracuja oder Quinoa gefüllt. In der Ausstellungsfläche an der Plaza Grande kann man sich seinen Riegel selbst zusammenstellen und dabei zwischen typisch ecuadorianischen Süßigkeiten, Nüssen und Beeren wählen. Was ich bestelle? Einen Riegel mit Hundekacke, natürlich. Kriegt man ja vermutlich nirgends sonst auf der Welt.

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Wenn ich an meine Zeit in Peru zurückdenke, vor vier Jahren, dann bin ich mehr als überrascht von all den tollen Initiativen hier in Quito. Vielleicht mag es nicht nur an der Zeit, sondern auch am Land liegen, aber so etwas wäre vor vier Jahren in Lima nicht vorstellbar gewesen. Na klar war man dort stolz auf seine Küche, aber eben nur auf bestimmte Teile davon – Süßigkeiten, die auf der Straße verkauft wurden, gehörten nicht dazu. Das Zeug sozusagen zu Kunst zu erklären, die Kindheitserinnerungen in eine neue Form zu packen, sich eben nicht an Zutaten aus Europa oder Nordamerika zu orientieren, das ist neu und ich finde diese Rückbesinnung großartig.

Wer aus Europa in Südamerika ankommt, der sieht sofort die irrsinnige Vielfalt und das große Potential, der weiß, dass es hier alles gibt, was man braucht, um lecker zu essen, doch wer selbst hier lebt, übersieht das ab und an. Viel zu oft strebt man nach dem vermeintlich Besonderen und sucht es auf der anderen Seite der Welt. Das selbe passiert uns ja in Deutschland, die wir Chia-Samen in unser Müsli packen, obwohl auf dem Feld nebenan hochwertige Leinsamen wachsen, und pestizidbelastete Goji-Beeren knabbern, obwohl wir im nächstgelegenen Wald problemlos Johannis- oder Heidelbeeren pflücken könnten.

Ein Grund mehr, sich hier in Ecuador mit Hoja Verde-Schokolade einzudecken und Dulce Placer-Eis zu schlecken, bis der Bauch weh tut. Und zu entdecken, was es noch alles an spannenden Herstellern und Ideen gibt – ich werde berichten!

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Die Straße „La Ronda“ liegt im westlichen Teil der Quitoer Altstadt, zwischen dem Bulevar 24 de Mayo und der Kirche Santo Domingo. Die verschiedenen Werkstätten und Läden haben theoretisch bis 21 Uhr geöffnet. Praktisch ist es am besten, an Wochentagen vormittags bis zum frühen Nachmittag vorbeizuschauen – dann trifft man am ehesten Leute an, die arbeiten. Am Wochenende und abends ist La Ronda für seine Restaurants und Bars bekannt. Mehr Informationen (auf Spanisch) gibt es hier!
Die Tour durch die Altstadt und La Ronda wurde mir durch Quito Turismo ermöglicht. Vielen lieben Dank dafür! Meine Meinung bleibt davon natürlich unbeeinflusst – ich bin auch ganz von selbst begeistert 🙂

3 Gedanken zu “Von Geheimfächern und Schokolade: Handwerk in La Ronda, Quito”

  1. Genialer Artikel – wie immer! Ich finde Handwerk auch immer sehr bewundernswert! In der Schule hatte ich ebenfalls eine Zeit lang Werken mit Metall und da habe ich erst bemerkt, wie körperlich anstrengend selbst die Herstellung eines kleinen Schmuckstücks sein kann! Umso bewundernswerter sind für mich Handwerker geworden, die täglich stundenlang Metall bearbeiten. Und in einer kleinen Holzkreisel-Manufaktur habe ich mal ein Praktikum gemacht! Dazu braucht man sehr viel Feingefühl (aber es kann auch eintönig werden). Echt cool zu erfahren, was es da sonst so auf der Welt gibt!
    Liebe Grüße, Magdalena

  2. Was für ein spannender Artikel! Hundekacke als Eis und Schokoriegel klingt genial, würd ich auch sofort probieren hihi! Hab in Marokko auch Handwerkern zugesehen wie sie Teppiche gewebt, Eisen bearbeitet oder Leder gegerbt haben, total interessant! Ebenso in Indonesien die traditionellen Holzpuppen, jede einzele ein Unikat! Finde die alte Handwerkskunst auch total faszinierend und würde das selbst auch gern lernen. Vor allem mit Holz zu arbeiten find ich super (dann könnte ich mir selbst mein Traumbaumhaus bauen haha).
    Ich freue mich auf weitere spannende Artikel 🙂

    Liebe Grüße
    Jasmin von nimsajx.blogspot.de

  3. Wow, was für ein spannender Artikel!
    Also Handwerk finde ich auch immer unheimlich spannend… hier in Deutschland würde ich so gern mal in einer echten Bäckerei zuschauen. Einblicke in die Wurstherstellung habe ich beispielsweise bei meinem Stiefvater bekommen können 🙂
    Die Vielfalt in Quito scheint wirklich enorm zu sein. Aber es erschreckte mich doch ein wenig, zu erfahren, dass man billige Alternativen zum qualitativ hochwertigen eigenen Kakao und Kaffee verwendete… Aber die Rückbesinnung auf regionales scheint ja gerade wirklich um sich zu greifen.

    Danke für den tollen Artikel 🙂 Ich bin gespannt, was du noch so für Handwerksgeschichten auftreiben wirst 🙂

    Liebe Grüße

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