Ruhrpottrost-Romantik

Die Geschichte des Ruhrgebiets kennt man wohl, auch ohne dort gewesen zu sein. Industrie, Aufbau, Zuwanderung, dicke graue Luft, Niedergang, Arbeitslosigkeit. Der klassische Verlauf der Geschichte einer industriellen Region. Und heute? Hat man nicht nur aus der grauen Luft wieder blauen Himmel gemacht und aus Abwasserkanälen Flüsse, sondern auch eine ganz besondere Art und Weise entwickelt, mit der eigenen Geschichte umzugehen – und deren Zeichen zu erhalten.

Dass im Pott inzwischen die meisten Stahlwerke lange geschlossen sind und fast niemand mehr unter Tage arbeitet, weiß jeder. Die Klischees sind dennoch an vielen Stellen die selben geblieben. Auch, wenn schnell ein „… aber das ist ja heute nicht mehr so!“ hinterhergeschoben wird, in den Köpfen bleiben die Bilder bestehen. „Da kannst du die Wäsche weiß raushängen und sie grau wieder reinholen!“ Umweltverschmutzung, ungebildete Arbeiter, Ruhrpott-Slang. Seit Ende des 20. Jahrhunderts und mit dem Strukturwandel sind noch einmal andere Klischees hinzugekommen: Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Armut. Dabei hat man ihm Ruhrgebiet begriffen, dass Strukturwandel nicht nur etwas Negatives ist, sondern immer auch eine immense Chance darstellt. Und hat Projekte gestartet, die einen staunen lassen.Aus Bergwerken wurden Museen oder Kulturzentren, auf ehemaligem Fabrikgelände entstanden Naherholungsgebiete, ehemals giftige Industrie-Rest-Anhäufungen wurden renaturiert und fügen sich heute in die Landschaft ein. Mehr als einmal habe ich mir im Ruhrgebiet gedacht, dass hier wohl irgendwie alles möglich sein muss, und konnte mir einfach nicht vorstellen, dass es hier noch vor wenigen Jahren ganz anders aussah.

„Erhalten durch Umnutzung“ ist im Pott nicht nur ein Slogan, sondern wird durch immer neue Umbaumaßnahmen durchgesetzt. Die Erhaltung der ehemaligen Industriegebäude hat mich fasziniert. Überall sonst wird alles, was nicht denkmalgeschützt ist oder zumindest klassisch schön aussieht, dem Erdboden gleich gemacht, um Platz für Wohnungen oder Einkaufszentren zu schaffen. Im Ruhrgebiet steht man zur Vergangenheit der Region, auf eine ganz eigene, sympathische und oft humorvolle Art. Man steht zu den eigenen Klischees und kann darüber lachen, freut sich aber auch, Besucher vom Gegenteil zu überzeugen. Auch, wenn zumindest Stadtplaner das Image der Städte und den wirtschaftlichen Schwerpunkt hin zu Kultur und Technologie verschieben möchten, lässt man daher die alten Gebäude am Leben und sorgt dafür, dass sie nicht ganz dem Rost erliegen.

Ich habe einige recht bekannte solche Projekte besucht und war absolut begeistert! Okay, ich gebe zu, das war auch nicht schwer – ich steh einfach auf Rost. Alte Industriegebäude sind für mich der Fotografinnenhimmel schlechthin, und als Humangeographin horche ich beim Wörtchen Strukturwandel ohnehin auf. Das Faszinierende am Ruhrgebiet ist auch, dass wirklich in jedem noch so kleinen Örtchen der industriellen Vergangenheit ein Denkmal gesetzt wurde. Um eine ehemalige Zeche zu besuchen, muss man nicht weit fahren. Die Orte, die ich kennen lernen konnte, möchte ich dir in diesem Artikel vorstellen. Vielleicht stehst da ja auch auf Rost und hast Lust, mal einen Abstecher dorthin zu machen?

Zeche Zollverein, Essen Von der größten Bergbaustadt Europas zum Kulturzentrum

Das wohl bekannteste Industriedenkmal im Pott ist die Zeche Zollverein, Unesco-Welterbe seit 2001 und größte Touristenattraktion der ganzen Region. Hier wurde von 1851 bis 1986 Kohle für die Stahlerzeugung gefördert. Damit war Zollverein tatsächlich die letzte von 291 Zechen, die in Essen stillgelegt wurden. Die Zahl klingt übrigens nicht nur hoch, Essen war damit einmal die größte Bergbaustadt in Europa.

Heute beherbergt die ehemalige Kohlenwäsche das Ruhr-Museum über die Geschichte der Region, das ehemalige Kesselhaus das Red Dot Design Museum, das zeitgenössisches Produktdesign ausstellt. Noch dazu finden sich auf dem Gelände Künstlerateliers und es ist Platz für alle möglichen Veranstaltungen – im Winter sogar für eine Eisbahn! Mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, ist Zollverein heute ein Vorzeigebeispiel für „Erhalten durch Umnutzung“.

Rundherum hat sich die Natur ihren Weg gebahnt, auf angelegten Wegen kann man quer durch eine Landschaft aus Grün und alten Industriegebäuden spazieren gehen oder Fahrrad fahren. Wer zu Besuch ist, kann sich ein Fahrrad leihen – das Besondere: An ganz vielen verschiedenen Orten im Ruhrgebiet, auch entlang der Route der Industriekultur, kann man metropolradruhr-Fahrräder ausleihen und zurückgeben. Diesmal habe ich es leider nicht geschafft, aber nächstes Mal fände ich es großartig, von einer Stadt zur anderen mit dem Rad zu fahren und so verschiedene Industriedenkmäler abzuklappern. Wie heißt es so schön – man braucht ja immer einen Grund, um noch einmal an einen Ort zurückzukommen!

Betritt man das Gelände, ist man erst einmal beeindruckt. Um den 55 Meter hohen Doppelbock mit der „Zollverein“-Aufschrift gut sehen zu können, muss man doch den Kopf in den Nacken legen. Eine Rolltreppe nimmt einen mit hinauf zum Ruhr-Museum, beleuchtete Treppen fügen sich spannend zwischen die dunklen Geräte und Rohre. Im Museum gibt es so viel zu sehen, dass man erst einmal überfordert ist. Ein Stockwerk ist der industriellen Geschichte des Ruhrgebiets gewidmet, eines befasst sich mit Klischees über das Ruhrgebiet und der Situation der Region heute und eines ist der vorindustriellen Geschichte und dem kulturellen Gedächtnis gewidmet. Das Stockwerk zur Geschichte deckt irrsinnig viele Themen ab und stellt viele historische Fakten sehr plastisch dar. So finden sich zum Thema Umweltverschmutzung zum Beispiel Sammlungen an Boden- und Wasserproben; um die Zeit des zweiten Weltkriegs abzubilden, werden Lebensgeschichten verschiedener Menschen erzählt, die dem Nationalsozialismus Widerstand leisteten. Verschiedene Gegenstände aus vergangenen Zeiten erzählen persönliche Geschichten, die sich in die Historie der Region fügen. Doch auch die Darstellung der Ruhrgebiets-Gegenwart und die Ausstellung verschiedener Foto-Projekte über die Region hat mir gefallen.

Ganz oben im Museum kann man mehr über die verschiedenen Industriedenkmäler der ganzen Region erfahren und eine Aussichtsplattform besteigen. Als ich ankam, bugsierte mich ein freundlicher Herr erst mal in einen Kinoraum. Ich sah mich schon nach Fluchtmöglichkeiten um, schließlich hatte ich die Kamera griffbereit und wollte hübsche Fotos von oben statt einen Lehrfilm, doch als der Film anfing, blieb mir der Mund offen stehen. Ein 360°-Kino! Auf einem drehbaren Stuhl sitzend, sieht man an jeder Wand etwas anderes und hat immer etwas zu gucken. Auch, wenn der Film nicht sonderlich spannend war, war er gut an die Technik angepasst. Einfach klasse! Von der Aussichtsplattform hat man dann nicht nur den Blick über das riesige Zollverein-Gelände, sondern auch auf verschiedene weitere Kunstwerke und Industriedenkmäler.

Phoenix-See und Phoenix-West, Dortmund Der Schwung eines Zauberstabs: Auf einmal ein See

Ein Blick auf den See auf meinen Fotos – und du fragst dich wahrscheinlich, was der im Artikel mit der Überschrift „Ruhrpottrostromantik“ zu suchen hat. Wenn man den Phoenix-See so sieht, kann man sich gar nicht vorstellen, dass hier einmal ein riesiges Stahl- und Eisenwerk stand. Ein Teil davon, Phoenix-West, das ehemalige Hochofenwerk, steht noch, Phoenix-Ost, wo die Verarbeitung stattfand, ist heute einfach mal ein See. Der Name „Phoenix“, nach dem beide Teile des Werkes seit 1906 benannt sind, scheint wie eine Vorahnung, ganz real ist hier aus der Asche ein Naherholungsgebiet entstanden. In Fee habe ich hier zu meinem Glück die beste Reiseführerin, die man sich in Dortmund wünschen kann, und bekomme erzählt, wie es so war, neben einem Stahlwerk aufzuwachsen und wie es so ist, heute dafür neben einem See zu wohnen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es gewesen sein muss, die Nachricht zu bekommen, dass aus dem Werk, das schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts dort stand, auf einmal ein See wird – ich hätte wahrscheinlich denjenigen, der mir das mitgeteilt hätte, erst einmal für verrückt erklärt.

Auf der einen Seite des Sees hat man der Natur Spielraum gelassen, auf der anderen Seite finden sich teure Wohnungen und am „Hafen“ Geschäfte und Restaurants. An einer Stelle wächst sogar Wein! Beim Spaziergang um den See macht der damit echt was her, auch wenn Kräne und Gerüste wohl noch eine Weile zur Skyline dazugehören werden. Aus einem Stahlwerk einen See zu machen, war verständlicherweise ein ziemlich großer Aufwand. 2006 begann man mit der Aushebung und musste anschließend aufgrund der hohen Belastung erst einmal den Boden sanieren. 2010 wurde der See dann geflutet – mit Trinkwasser, statt, wie vorhergesehen, mit Grundwasser. Auch die sozialen Folgen sind nicht zu verachten. In einer Arbeitergegend mit Blick aufs Stahlwerk entstanden schicke Wohnungen mit Seeblick, unterschiedliche soziale Gruppen leben heute Tür an Tür. Da gibt es oft Konflikte – und viel Kritik an dem Großbauprojekt, das völlig ohne Berücksichtigung der Umgebung konzipiert wurde.

Der andere Teil des Werks, Phoenix-West, steht jedoch noch friedlich und rostet vor sich hin. Dort kann man heute ab und an Führungen unternehmen und bis ganz nach oben klettern. Die Umgebung wird wegen der bereits bestehenden guten Infrastruktur mittlerweile genutzt, um Technologieunternehmen anzusiedeln. Rund um Phoenix-West ist es inzwischen grün, auch hier darf sich die Natur ihren Teil zurückerobern. Und wenn man Glück hat, dann steht vor dem Gelände ein ausrangierter gelber Schulbus, der nicht nur fotogen aussieht, sondern an dem man auch noch Ruhrpott-Cola trinken kann. Ich sags euch: Hier wundere ich mich über gar nichts mehr.

Meine Reise ins Ruhrgebiet wurde unterstützt von NRW Tourismus. Vielen Dank dafür! Dank Ruhr-Tourismus konnte ich mit der Ruhr-Topcard außerdem kostenlos das Ruhr-Museum besichtigen. Und natürlich vielen Dank an die liebe Fee für die tolle Dortmund-Führung!

3 Gedanken zu “Ruhrpottrost-Romantik”

  1. Yay, sehr cool! Das finde ich auch ganz nett am Pott und eine Entschädigung für nicht so viel wirklich historischen alten Kram 😀
    Auf Zollverein war ich auch schon unterwegs, sehr schön dort 🙂 auf Phoenix West war ich selber noch nicht, aber so ist es irgendwie immer 😀
    Auf jeden Fall schöne Eindrücke und toll, dass es dir gefallen hat 🙂

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