Umarme das Unbekannte

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Ich werde alt, sage ich in letzter Zeit häufiger, und bekomme dann mindestens fünf böse Blicke aus meinem Umkreis. Alt, mit 22, von wegen, kriege ich zu hören. Das stimmt ja auch – aber in letzter Zeit hat sich bei mir ein diffuses Gefühl eingeschlichen aus Langeweile, Ernst-des-Lebens und Melancholie, das ich einfach nicht anders bezeichnen kann.

Wenn ich „Ich werde alt“ sage, dann meine ich, dass mein Leben in den letzten Jahren immer weniger spektakulär geworden ist. Vor vier Jahren noch lebte ich in Peru, ein ganzes Jahr lang, hatte ständig spannende Erlebnisse, musste kleine Alltagskatastrophen bewältigen und mich alleine durchschlagen. Vor drei Jahren fing ich mit dem Studium an, lernte gefühlte hundert Leute auf einmal kennen, schloss Freundschaften und zog durch Bars. Vor zwei Jahren ging bei mir alles drunter und drüber, durchfeierte Nächte knüpften an einsame Tage an. Dann, frisch verliebt, zogen die Tage im Schnelldurchlauf an mir vorbei. Und schließlich, heute, bin ich angekommen, habe ein geregeltes Leben, arbeite aufs Studiumsende hin, und all das ist wirklich schön, und vor allem sehr befriedigend. Aber irgendwo unter der Oberfläche regt sich etwas in mir, das sagt: Das Beste ist nun also schon vorbei. Die Geschichten, die du später mal erzählen wirst, die Abenteuer, an die du noch in Jahrzehnten denkst – alles schon erlebt. Was jetzt kommt, ist also irgendwie nur noch der Gang durch die Mitte, der Weg geringen Widerstands, ohne Höhen und Tiefen, schließlich bin ich inzwischen älter, vernünftiger, ruhiger. Ich will nicht sagen, dass mein Leben langweilig ist, denn davon ist es weit entfernt, es ist nur eine gewisse Grundstimmung. Das Gefühl, Dinge auf einmal zu müssen, Entscheidungen zu treffen, die Unvernunft nur noch in kleinen, vernünftigen Dosen herauszulassen… Das Gefühl, nichts Neues mehr zu tun, alles bereits zu kennen, jeden Tag viel zu ähnliche Dinge zu tun.

Vielleicht liegt es an der seltsamen Atmosphäre, die in der Luft liegt, wenn gute Freunde ihr Studium beenden oder Umzugspläne schmieden und „Hast du schon ein Thema für deine Bachelorarbeit?“ ein ständiges Konversationsthema ist. Vielleicht bekommt man auch einfach grundsätzlich irgendwann einen kleinen Koller, wenn man drei Jahre lang in einer vergleichsweise kleinen Stadt studiert und entsprechend immer mit den gleichen Menschen zusammen ist. Vielleicht ziehe ich, die ich sowieso immer gedanklich ein Jahr weiter bin und Zukunftssorgen habe, bevor die Zukunft auch nur annähernd feststeht, die Quarterlife Crisis vor. Vielleicht bin ich unzufrieden, weil ich ständig sehe, wer alles für spannende Praktika, Auslandssemester oder Reisen in die verschiedensten Länder kommt und Abenteuer erlebt, während ich zu Hause bleibe. Egal – ich will dagegen ankämpfen, denn das Beste ist nur dann schon gelaufen, wenn ich weiterhin so viel Trübsal blase.

Deswegen habe ich mir vor einiger Zeit begonnen, die Frage zu stellen: Was ist das eigentlich, ein Abenteuer? Ist es das, was wir beim Reiseveranstalter buchen, wenn wir Begriffe wie Fallschirmsprung oder Rafting-Tour angeben? Oder ist ein Abenteuer nicht vielmehr ein Gefühl, das sich einstellt, wenn wir einmal etwas außerhalb unserer Komfortzone erleben? Wenn etwas schiefgeht und sich trotzdem eine neue Lösung auftut? Wenn wir am Ende stolz darauf sind, dass wir etwas geschafft haben, trotz widriger Umstände? Eine, wie ich finde, coole Antwort gibt das Werbevideo von New Zealand Tourism: Dem Alltäglichen entfliehen, das Unbekannte umarmen.

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Ich denke an das, was ich in meinem Leben als Abenteuer bezeichnen würde. Wie ich damals mit einem 13 Kilo schweren Regal nach Erfurt getrampt bin, zum Beispiel. Wie ich mir kurz vor der nördlichen Grenze Limas ein Taxi mit wildfremden Kerlen geteilt habe und die Jungs so nett waren, mir sogar noch das Busticket nach Hause zu spendieren. Wie ich in Ecuador bei den Hare Krishna übernachtet habe. Wie ich in Jena eine der verrücktesten Nächte meines Lebens hatte. All diese Ereignisse, und auch all die anderen verrückten Erlebnisse, von denen ich berichten könnte, hatten eines gemeinsam: Ich habe das Unbekannte umarmt. Ich habe auf andere Menschen vertraut, obwohl ich sie nicht kannte, ich habe Dinge getan, die mir vorher unbekannt waren. Ich war spontan und habe mich auf das eingelassen, was passierte. Nichts davon hatte wirklich etwas mit dem jeweiligen Ort oder der Zeit zu tun, alles hätte mir überall und immer passieren können. Was geschah, lag an mir, meiner Einstellung und meiner Offenheit. Und genau deshalb ist das Beste auch noch lange nicht vorbei, denn ob man ein Abenteuer erlebt, das liegt genauso wenig am Alter wie an der Lebenssituation, den Reisemöglichkeiten oder dem Wohnort. Sondern ist ganz einfach Einstellungssache.

10 Gedanken zu “Umarme das Unbekannte”

  1. Liebe Ariane,
    ich will eigentlich gar nicht viel schreiben, nur, ich kenne das Gefühl sowas von gut. Und irgendwie ist es beruhigend, dass es nicht nur einem selbst so geht. Du hast das super schön beschrieben 🙂

    Liebe Grüße
    Jacqueline

  2. Liebe Ariane,
    wahrscheinlich geht es uns allen mal so – manche Phasen im Leben sind aufregender, manche weniger. Ich dachte nachdem ich in Neuseeland und Südostasien auch nicht, dass das Leben noch spannender werden könnte – wurde es aber. Und ja, es ist eine Einstellungssache. Natalia und ich meinten im sechsten Semester, dass es das beste überhaupt werden sollte – und das wurde es. Weil wir rausgingen, verrückte Dinge machten, unvernünftig waren – aber vor allem: Weil wir es wollten. Man muss einfach Gelegenheiten beim Schopf packen oder sie selbst hervorrufen.

    Gleichzeitig denke ich aber auch, dass es nicht immer aufregend sein muss. Wahrscheinlich wäre das einfach too much mit der Zeit – manchmal braucht man auch diese ruhigen Phasen. Die Balance ist wichtig.

    Liebe Grüße!
    Petra

    🙂

  3. Das Gefühl hatte ich auch, als ich mein Studium beendete. Gemischt mit dem Gefühl "Und wie geht es jetzt weiter?". Das Leben ist immer ein Abenteuer. Vernünftig sein in den richtigen Situationen und spontan und risikobereit sein in den passenden Momenten. Die Mischung machts, würd ich mal sagen. Solange man offen ist für Erlebnisse, wird auch etwas passieren. Erst wenn man anfängt zu denken, es sei alles eh schon gelaufen oder eine Sache für die Pension, wird es kritisch. Ruhige Phasen wechseln sich mit hektischen ab, das ist eine gute Mischung und einem wird nicht langweilig 😉

    LG

  4. Sehr schön geschriebener Post! So ganz kann ich deine Situation zwar nicht nach empfinden, weil ich gerade die Schule beendet habe und nun ein Jahr im Ausland vor mir liegt – ich bin so aufgeregt! 😀 Aber ich kann mir vorstellen, was du meinst und ich glaube auch, dass es einfach eine Sache der Einstellung ist! (:

  5. Ich kenne das Gefühl. Ich werde bald 26 – die 30 ist also näher als die 20 (OMG wann ist das denn passiert?!), im Freundeskreis sind bereits viele verheiratet, haben Kinder und bauen gerade ein Haus. Und ich hab so ganz andere Pläne. Denn ich will noch nicht "alt" sein, ich will nicht, dass "die besten Jahre" schon vorbei sind – ich will Abenteuer! Viele! Jetzt! Denn das richtige Leben beginnt doch erst. 🙂

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