Touristen

Wenn wir unterwegs sind, verändert uns das. Von kaum einer Reise kommen wir genau so zurück, wie wir gestartet sind. Wir verändern uns charakterlich, intellektuell, häufen Selbstbewusstsein und neues Wissen an, lernen neue Freunde kennen. Doch durch den Tourismus verändern sich auch die Orte, an die wir reisen. Städte, Regionen, ganze Länder entdecken den Tourismus als Einnahmequelle. Eine riesige Industrie hat sich entwickelt, weltweit verreisen inzwischen über eine Milliarde Menschen im Jahr, rund ein Siebtel der Weltbevölkerung. Heute ist es im Prinzip nicht mehr möglich, Orte zu betreten, die noch nicht touristisch erschlossen sind. Marketing-Chefs im Großen wie Hostelbesitzer oder Museumswärter im Kleinen versuchen, den Touristen das zu bieten, was sie sehen wollen, und jede noch so kleine historische Stätte wird zur Sehenswürdigkeit ausgebaut.

Den Touristen wird geboten, was sie sehen wollen – und die, die nicht einfach nur Erholung in der Hotelanlage suchen, wollen Authentizität, etwas Exotisches. Das führt zu einem Paradox: Um vermeintliche „Authentizität“ für Touristen zu schaffen, werden längst vergessene Traditionen wieder ausgegraben, die für die im jeweiligen Ort lebenden Menschen ganz und gar nicht authentisch, ja sogar ungewohnt sind. Für das Blickfeld der Touristen stellt man Holzbänke auf, auch wenn für die Bevölkerung eigentlich Plastikstühle normal sind, man kleidet sich in Landestracht, auch wenn man eigentlich in Jeans und T-Shirt unterwegs ist, man tischt traditionelle Speisen auf, auch wenn die Leute inzwischen eigentlich am liebsten Pizza und Nudeln essen. Im Prozess des Verwertbarmachens von Orten für Touristen werden Unterschiede wieder hergestellt, die die Globalisierung längst hinweggefegt hat, in einem künstlichen, artifiziellen Rahmen.

Das Thema Tourismus interessiert mich, ich finde es spannend, was andere Menschen sehen wollen, wie sie in Länder eintauchen, wie das Reisen ihre Art verändert, die Welt zu sehen – oder auch nicht. Genauso finde ich es auch faszinierend, mir die Orte anzusehen, in denen Touristen ankommen, wie sich die Strukturen dort verändern, wie mit den Touristen Geld gemacht wird, wie die Einheimischen die Touristen aufnehmen. Wie so eine plötzliche Kollision zwischen zwei Ländern, zwei Kulturen funktioniert. Vor allem in Ländern des Globalen Südens, in denen keine Austauschbeziehung besteht, sondern fast nur Besucher aus dem Norden das Land erkunden, und in denen die Kulturen der Einheimischen und der Besucher oft große Unterschiede aufweisen, ist diese Frage interessant.

Im Urlaub habe ich es mir inzwischen angewöhnt, Touristen und touristische Orte zu fotografieren, einfach, weil ich es spannend finde, mir die Strukturen so vor Augen zu führen. Viele Sehenswürdigkeiten beeindrucken mich ohnehin nicht so sehr – da kann ich meine Augen gut auf die andere Seite wenden und die Leute fotografieren, die die Sehenswürdigkeit fotografieren… Für alle, die gerne mal in die Street Photography bzw. ins spontane Fotografieren von Menschen einsteigen würden, kann ich das nur empfehlen, denn an touristischen Sehenswürdigkeiten sind Kameras nicht ungewöhnlich und die Leute sehen einen nicht misstrauisch an, egal, in welche Richtung man fotografiert…

Interessiert ihr euch auch für das Thema Tourismus? Und ertappt ihr euch auch dabei, andere Reisende abzulichten?

19 Gedanken zu “Touristen”

  1. Ein wirklich spannendes Thema! Ich finds auch faszinierend, wie sich Orte verändern aufgrund von Touristen. Irgendwie bin ich mir unschlüssig, ob ich das gut oder schlech finden soll. Andererseits finden so längst vergessene Traditionen auch irgendwie ihren Weg zurück. Das kann ganz schön sein, wie ich finde 🙂

    Liebe Grüße 🙂

    1. Ich denke, man kann da nie schwarz/weiß sehen. Manches ist gut, manches ist schlecht, das meiste irgendwo dazwischen 🙂 Tourismus kann ja auch immer auf verschiedene Arten funktionieren. Und du hast definitiv Recht, wenn Traditionen dadurch aufrecht erhalten werden, ist das natürlich eine tolle Chance!

  2. ich kenne als urlauber und touristiker in einem bergsportort beide seiten gut. ich organisiere im ort auch einen typischen "tiroler abend" wo wir auch bräuche vorstellen, die weiterhin bestand haben, vor allem die christlichen natürlich. beim schuhplatteln und almabtrieb sehe ich das ähnlich wie du, das wird eher als show aufgezogen.. muss man auch, denn genau das wollen die gäste sehen! ich bin selbst als urlauber auch so, dass ich mir solche traditionsveranstaltungen gerne ansehe, wenn ich die möglichkeit dazu habe. mit dem nötigen feingefühl kann man diese gratwanderung zwischen tradition und kitsch schon hinkriegen.

    1. Beide Seiten beobachten zu können, ist bestimmt spannend – wenn auch, wie ich mir vorstellen kann, ab und an sehr anstrengend… Ich denke auch, mal darf die Dinge dabei nicht so schwarz/weiß sehen und muss immer gucken, wie man etwas umsetzt, so dass es das nötige Feingefühl beweist.

  3. Ich sehe das ein bisschen als (Kultur-)Anthropologe: Der Forscher verändert das Feld. Genauso ist es auch mit Touristen. Das kann man versuchen, so niedrig wie möglich zu halten, verhindern lassen wird es sich aber nicht. Ich finde es auch nicht falsch, dass es solche Verantstaltungen gibt, so lange sie nicht unter dem unbedingten Vorwand von aktueller Authentizität geschehen. Schließlich gehen wir ja auch in Museen und schauen uns Relikte an… Wenn ich allerdings das Gefühl habe, die "Protagonisten" sind genervt von der Show, ist definitiv eine Grenze erreicht!

    1. Ja, da hast du definitiv Recht! Verhindern lässt sich eine Veränderung dabei nie, und es wäre auch sehr überheblich, das zu versuchen – warum haben schließlich die von Touristen besuchten Länder und Regionen nicht das Recht, sich weiterzuentwickeln und sich zu verändern?! Ich finde nur das Verhältnis interessant zwischen erwarteter Authentizität und Veränderung – Tourismus und seine Effekte sind einfach ein spannendes Feld 🙂

  4. Ja, mein Holder findets auch super Leute beim Fotografieren zu fotografieren.
    Ich wundere mich immer wieder über meinen eigenen Umgang mit Touristen. Sie gehen mir meistens ziemlich auf die Nerven, dabei bin ich doch in dem Moment auch einer von ihnen…

  5. Ich habe in Venedig die ganze Zeit andere Besucher auf der Biennale fotografiert 😀 Ich fand es total interessant, wie sie die Kunstwerke betrachtet haben 🙂
    Ich finde interessant, wie du über Touristen schreibst. Meistens finde ich sie selbst nervig, dabei ist man ja selber einer? Eigentlich ziemlich paradox 😀

    Liebe Grüße,
    Vita

    1. In Museen fotografiere ich auch sehr gern Leute, wenn es denn erlaubt ist 😉 Leute, die auf Kunstwerke gucken, sind auch ein super Motiv.
      Ja, genau! Eben dieses Paradoxe find ich spannend 🙂

  6. Ein wirklich spannendes Thema und ich würde gern mehr Menschen auf meinen Bildern abbilden, doch bin ich mir bzgl. der Rechtslage immer sehr unsicher. Heißt im Klartext: Muss ich sie fragen, auch wenn nur der Rücken zu sehen ist? Geht dann nicht der Moment des Aufenblicks kaputt? usw.

    Zu deinen Gedanken bzgl. des Tourismus – ich würde mich freuen, wenn es weniger Sehenswürdigkeiten-Tourismus geben würde, sondern mehr Wert auf die versteckte Schönheit gelegt werden würde. Doch Trend geht klar in die Richtung je mehr desto besser…
    Viele Grüße
    Heike @Björklunda

    1. Ich weiß nicht, wie es international ist. So weit ich weiß, darfst du in Deutschland Leute, wenn sie deutlich zu erkennen sind, nicht einfach so zeigen. Ich persönlich fände es auch eher nicht so schön, irgendwo auf einem Reiseblog groß und erkennbar zu sehen zu sein.

      Wäre ja auch noch mal die Frage, wie es mit dem privaten *Gebrauch* aussieht.

      @Ariane: Ich finde deine Strategie, den Tourismus quasi fotografisch festzuhalten, interessant, ich mache es oft ähnlich. Das ist viel schöner, als krampfhaft Klischees hinterherzurennen. Irre ich mich, oder schimmert da ein sozialwissenschaftlicher Hintergrund durch? 🙂
      Ganz allgemein kann man die Auswirkungen des Tourismus so, finde ich, auch nicht bewerten. Wichtig finde ich nur, zu verstehen, dass man, wenn man in der Lage ist, die Welt zu bereisen, dann auch Verantwortung für das eigene Tun übernimmt.

    2. Ich bin mir auch immer sehr unsicher, wenn es darum geht Menschen zu fotografieren und diese Bilder dann auch noch eventuell zu veröffentlichen, deshalb verzichte ich meistens darauf. Auch finde ich es selbst extrem unangenehm, wenn ich merke, dass ich fotografiert werde und möchte andere nicht in diese Lage bringen. Interessant ist die Fotografie von Menschen in Alltagssituationen aber allemal.

    3. @Heike: Die Rechtslage ist da auch relativ unsicher. Eigentlich gilt das Recht am eigenen Bild, man darf also Menschen nicht einfach ohne deren Erlaubnis fotografieren und die Bilder veröffentlichen. Andererseits gibt es aber Ausnahmeregelungen, wie beispielsweise, wenn Personen neben einem berühmten Gebäude stehen, das man eigentlich ablichten wollte, oder bei Großveranstaltungen. Und es gibt einen Paragraphen, der erlaubt, dass Fotos mit künstlerischem Wert auch okay sind. Wo künstlerischer Wert anfängt und was genau erlaubt ist, wäre wahrscheinlich bei jedem einzelnen Foto eine Streitfrage. Ich versuche, immer darauf zu achten, wie ich Menschen ablichte, und niemanden irgendwie unschön darzustellen. Bei den meisten sind die Gesichter nicht erkennbar und beim Rest sind die Personen auf den Bildern, die ich hier veröffentliche, so klein, dass die Gesichter hoffentlich nicht direkt erkennbar sind. Nach Erlaubnis frage ich nur, wenn ich ein gestelltes Foto möchte – sonst geht für mich absolut der Moment kaputt.

    4. @Sab: Danke dir! Ja, einen sozialwissenschaftlichen Hintergrund gibts bei mir, ich studiere Politikwissenschaft, Humangeographie und auch ein bisschen Soziologie 😉 Und der schimmert wahrscheinlich öfter hier im Blog durch, als mir lieb ist… Verantwortung finde ich dabei übrigens wirklich ein gutes Stichwort, da hast du absolut Recht!

  7. Was für schöne Fotos!
    Bei uns in Salzburg ist es mittlerweile so, dass die Touristenflut ein manifestes Problem wird. In den Sommermonaten ist nicht mehr daran zu denken, die Altstadt als Einheimische(r) zu betreten, alles ist zu überfüllt, überteuert und auf touristische Bedürfnisse ausgerichtet. Es fühlt sich an, als würde die Stadt einen langsamen Tod sterben. Immerhin wohnt kaum mehr jemand in den historischen Altstadthäusern, die Mietpreise für Geschäfte und Gastronomie steigen ins so Unermessliche, dass es sich nur mehr internationale Ketten leisten können, Lokale im Zentrum zu mieten und die Stadt verkommt zu einer Art amerikanisierten Disneyland. Es ist tatsächlich eine tolle Idee, das Ganze fotografisch festzuhalten. Vielleicht gehe ich mal eine Runde mit der Kamera und wenn, dann muss ich es dir unbedingt zeigen 🙂
    Liebe Grüße

    1. Ohje, das klingt ja furchtbar! Es ist wirklich schade, wenn die Einheimischen sozusagen aus ihrer eigenen Stadt vertrieben werden. Eine Fotoserie dazu fände ich äußerst spannend, ich würde mich freuen!

  8. Hi Ariane,
    ein toller Artikel zu einem sehr interessanten Thema! Mich beschäftigt das Thema Tourismus auch brennend, denn ich habe eine sehr geteilte Meinung dazu. Dadurch, dass ich viele Jahre lang auf Kreuzfahrtschiffen arbeitete, habe ich die negativen Auswirkungen in ihren Extremfällen kennengelernt. Wenn so ein riesiges Schiff mit über 2.000 Passagieren und 800 Crewmitgliedern in einem winzigen Hafen wie Tallinn anlegt, dann wird eine solche (eigentlich ruhige und wunderschöne) Stadt völlig überrannt. Die Touristen fallen wie die Armeisen über einen Ort her, halten sich nur wenige Stunden dort auf und hinterlassen am Abend ein totales Chaos. Diese Art von Massentourismus finde ich einfach nur noch widerlich und mit Reisen hat das meiner Meinung nach auch nicht mehr viel zu tun.
    Liebe Grüße, Julia

    1. Danke! Deine Sicht dazu finde ich wirklich spannend, du kennst ja beide Seiten, als Reisende und als, ich sag mal, Organisatorin 😉 Bei Kreuzfahrtreisen muss ich immer an die Stopps auf beispielsweise Haiti denken, wo 1-2 Strände für diese Schiffe reserviert und gut hergerichtet sind und drei Kilometer weiter die totale Armut beginnt. Das ist irgendwie auch ganz schön makaber. Und hinterher erzählen die Urlauber wahrscheinlich vom ach-so-authentischen Haiti, das sie kennen gelernt haben… Das ist schon pervers, irgendwie.

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