Eindrücke aus Tbilisi {Teil 1}

Ich glaube, die Frage, die mir am meisten gestellt wurde, wenn ich von meiner Reise erzählt habe, war „Wie kommst du denn darauf?“. Antworten konnte ich leider nur sehr unkreativ – nämlich damit, dass ich selbst (schon aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse) wahrscheinlich nie auf Georgien als Reiseziel gestoßen wäre, hätte ich nicht eine Freundin, die dort zwischen Schule und Studium für ein Jahr gelebt und seitdem gefühlt jede Semesterferien in Georgien verbracht hat. Da mir also, seitdem ich in Jena lebe, konstant von Georgien vorgeschwärmt, georgisches Essen nahe gebracht und die wunderschöne Schrift präsentiert wurde, musste ich irgendwann auch mal die Chance ergreifen, das Land auch selbst zu bereisen, und die bot sich an, als meine Freundin in Tbilisi ein Auslandssemester anfing. Gesagt, getan, Flug gebucht, Reiseführer gekauft, Reisepass, der zuletzt in Peru in Benutzung war, wieder aus der Versenkung geholt, und losgedüst.

Ankunft in Georgien heißt eigentlich immer: total gerädert sein. Die günstigen Flüge legen einen endlos erscheinenden Zwischenstopp am Istanbuler Flughafen SAW ein, der irgendwo abseits der Stadt in einem Industriegebiet liegt. Da ist es schön, endlich da zu sein und auch um fünf Uhr früh freundlich von Tbilisi, „The city that loves you“, empfangen zu werden. In der Touristeninfo am Flughafen bekomme ich eine „Wine map of Georgia“ geschenkt und ein paar Minuten später sitze ich in einem Auto, das nicht mal ein Taxischild auf dem Dach hat. Der Fahrer zeigt uns unterwegs die Sehenswürdigkeiten, viele hochmoderne, gläserne und in allen Farben leuchtende Gebäude, neben der Altstadt, in der sich niedrige Häuser in schmalen Gassen an die Hügel drücken. Zur Begrüßung gibt es direkt Chinkali, das georgische Nationalessen, Teigtaschen mit Fleisch-, Kartoffel- oder sonstiger Füllung, die zu essen einer kleinen Herausforderung gleicht. Den Strunk lässt man jeweils auf dem Teller liegen, um später nachsehen zu können, wie viele man geschafft hat, wir kommen jeder auf fünf.

Am nächsten Morgen, oder eher Mittag, dann der erste Blick auf Tbilisi im Hellen, auf die merkwürdige Konstellation aus kleinen alten Häuschen, sowjetischen Prunkbauten und modernen Architekturexperimenten. Die Häuser in der Altstadt zeugen von früherer Schönheit, sind aber fast alle sehr schlecht erhalten. Aufgerissene Bürgersteige führen durch schmale Straßen, in denen die Balkone der gegenüberliegenden Gebäude sich fast zu berühren scheinen. Überall Kabelgewirr, dazwischen Wäsche, die zum Trocknen aufgehängt wurde, ab und an sieht man Hunde und Katzen durch die Straßen streunen. Die kunstvoll verzierten Balkone, die ganze Häuser umlaufen und offene Gänge darstellen, von denen die einzelnen Wohnungen abgehen, werden teils mit Holzbalken abgestützt, teils hängen sie halb schief oder haben schon vor Längerem begonnen, zu bröckeln. Dazwischen immer wieder komplette Häuserruinen.

Gleichzeitig wird in der Stadt überall gebaut, Gerüste und Kräne prägen das Stadtbild. Es enstehen neue Hotels, Museen, Bürogebäude, eines höher und pompöser als das andere. Der Bauwahn hat zu kuriosen Ergebnissen geführt – das Justizgebäude erinnert an Pilze, die nebeneinander aus dem Boden sprießen, die neue „Friedensbrücke“ über den Mtkvari scheint so gar nicht ins Stadtbild zu passen und ein neues Konzertgebäude zu Fuße des Präsidentenpalastes (der wiederum dem Reichstag nachempfunden wurde) lässt viele Interpretationen offen.

Unser Weg durch die Altstadt führt uns zu verschiedenen warmen Bädern, die der Stadt ihren Namen gaben – Tbilisi heißt so viel wie „warme Quelle“. Daneben reißt ganz plötzlich die Landschaft auf, eine riesige Schlucht mitten in der Stadt, aus deren Ende ein Wasserfall stürzt. Hier sind viele Georgier unterwegs, eine ganze Hochzeitsgesellschaft ist gerade dabei, Fotos zu machen. Auch hier ducken sich viele Häuser sehr nah und sehr wackelig an den Abgrund. Denkt man daran, dass in Georgien Erdbeben keine Seltenheit sind und diese in der Vergangenheit teilweise mehrere hundert Tote gefordert haben, kann einem da doch ein bisschen unwohl werden.

Im Verlauf der Tage lernen wir viel von Tbilisi kennen, die Altstadt, schicke kleine Cafés und Bars, die mit ihrem zusammengewürfelten Altbau-Charme auch in Berlin oder Amsterdam stehen könnten, die neu gestalteten Gebäude und Parks rund um den Fluss, den Flohmarkt und den Basar, den Rustaweli-Boulevard, eine der größten und prachtvollsten Straßen Tbilisis mit vielen wichtigen Gebäuden, die Straße rund um die Uni-Gebäude der zwei wichtigsten staatlichen Universitäten, den aus der Sowjetzeit stammenden Vake-Park. Ich habe das Gefühl, Tbilisi ist voller Widersprüche und das bunte, fast zusammengewürfelte Stadtbild zeigt, wie viele unterschiedliche Menschen, wie viele verschiedene Lebensrealitäten es dort gibt. Viele junge Leute haben spannende Klamottenstile, denken international, verreisen viel, sprechen fließend Englisch. Doch die Armut ist aus dem Stadtbild nicht wegzudenken, mit alten Frauen, die auf der Straße betteln, Blumen, Süßigkeiten oder Churchkhela, an einer Schnur aufgehängte Nüsse in Traubensirup, die entfernt an Würste erinnern, verkaufen, und dem Blick auf heruntergekommene Plattenbauten. Zwischen den schicken Cafés oder internationalen Supermarktketten finden sich kleine Tante-Emma-Läden oder Bäckereien, in denen manchmal auch noch ein Foto von Stalin an der Wand hängt.

Im zweiten Teil der Eindrücke aus Tbilisi nehme ich euch mit auf die Burg und in den botanischen Garten. Außerdem wird es noch einen Extra-Post zu Tbilisi bei Nacht geben. Und zu georgischem Essen. Und zu Street Art in Tbilisi. Und zu… Ihr seht, ihr könnt euch auf extra-viel Georgien freuen! 🙂

22 Gedanken zu “Eindrücke aus Tbilisi {Teil 1}”

  1. Georgien kennt man ja im Allgemeinen nicht wirklich. Deine Bilder vermitteln wirklich ganz wunderbare Eindrücke. Ich find´s toll, dass du deine Berichte mit so alltäglichen Szenen startest. Bin gespannt auf die Fortsetzungen.
    Die verfallenen, windschiefen Gebäude mit rissigen Fassaden erinnern mich sehr an das, was ich im Osten der Türkei gesehen habe.
    Liebe Grüße
    Christiane

    1. Ja, ich hätte das Land ohne die Freundin von mir, die dort zur Zeit wohnt, auch nie auf dem Schirm gehabt 🙂 Aber ist an sich wirklich eine spannende Region – ich habe jetzt ein bisschen Blut geleckt und würde auch gerne mal nach Aserbaidschan. Danke dir!

  2. Also von Georgien habe ich bis jetzt noch genau gar nichts gehört,geschweige den gesehen. Deshalb freue ich mich umso mehr auf deine weiteren Bilder. Denn es sind nämlich wunderschöne Bilder und einen tollen Bericht,den du uns da mitgebracht hast. Vielen Dank!
    Liebe Grüsse Alizeti

  3. Die Ecke ist (unter anderem) eins meiner heimlichen Reiseziele. Nach Armenien möchte ich auch mal reisen, habe auch versucht, in Jena Armenisch an der Uni zu belegen, aber leider gibt es nur einen Georgisch-Kurs (von der Kaukasiologie aus, vielleicht ist das interessant für deine nächste Reise dorthin 🙂 ). Ich freu mich auf deine nächsten Posts mit hoffentlich vielen Bildern und noch mehr Beschreibungen 🙂

    Viele Grüße

    1. Oh, wirklich?! Ich glaube, es gibt nicht viele Leute, die sich für den Kaukasus interessieren – sieht man ja auch an der Kaukasiologie, die pro Semester immer so drei Studenten hat 😛 Georgisch ist zwar bestimmt spannend und hat auch eine schöne Schrift, aber lernen möchte ich die Sprache definitiv nicht, das wäre mir viel zu anstrengend. Lernst du denn Georgisch?

    2. Ja, genau 🙂
      Die Südslawistik hatte aber auch nur zwei in dem Jahr, als ich angefangen habe 😉
      Lernen tue ich das noch nicht, aber es steht auf dem Plan! Vor allem weil Georgisch dem Armenischen nahe ist.

  4. Sehr eindrucksvolle und ausnahmslos gelungene Fotos! Obwohl ich noch nie dort war, spüre ich richtig den Flair der Stadt und die Stimmung. Echt super gelungen! Es ist gar nicht so leicht, so ein ausgefallenes Reiseziel, zu dem viele gar keine Assoziationen haben, schmackhaft zu mahcne 🙂 GLG Charlotte

  5. Liebe Ariane,
    tolle Fotos! Ein schöner Einblick in diese Stadt. Man verbindet ja irgendwie immer ein stereotypisches Bild mit verschiedenen Ländern, wie es dort aussieht, aber bei Georgien habe ich irgendwie eine komplett leere Leinwand im Kopf. Oder: hatte.
    Ich leite das mal weiter an eine Kommilitonen, die sich für ein Auslandssemester in Georgien interessiert, unsere Uni hat eine Partnerschaft mit einer der beiden Unis in Tbilisi.
    Liebe Grüße, Kato
    PS: Der Wasserfall, herrlich <3

    1. Ging mir vorher auch so 🙂 Unsere Uni hat das auch, da gibts auch ein Austauschprogramm mit einer der beiden staatlichen Unis in Tbilisi. Die Stadt ist bestimmt toll zum Studieren, und die Region an sich unheimlich spannend.

  6. Wow, was für tolle bilder. danke für den einblick.
    an georgien hätte ich als urlaubsziel jetzt auch nie gedacht. ich finde es aber richtig toll wie da neue gebäude direkt neben diesen alten zerfallenen gebäuden stehen. dieser starke kontrast zwischen neu und alt.
    wirklich toll

    liebe grüße Hydrogenperoxid Lifestyle Blog

    1. Freut mich sehr 🙂 Ich persönlich hätte auch ohne die Freundin, die dort wohnt, nie an Georgien gedacht – es ist auch ganz ohne Sprachkenntnisse nicht so einfach, dort herumzukommen. Aber die Architektur ist wirklich spannend, auch die Sowjet-Gebäude sind zum Teil richtig interessant, in ihrer Absurdität.

  7. sehr toller Bericht und wirklich atemberaubende Fotos!
    Du hast ein gutes Auge für die Motive und die interessanten Fleckchen dieser Stadt!
    Ich selbst war auch noch nie in Georgien und hätte jetzt auch nicht gewusst, was ich mir darunter vorstellen soll.

    Lg
    Lia

  8. Ich habe mich ehrlich gesagt noch nie mit Georgien beschäftigt. Aber dein Text und auch vor allem die tollen Bilder, machen mich schon sehr neugierig. Ich finde es irgendwie interessant, wie sich die moderne Architektur dort anscheinend ausbreitet und trotzdem noch viel 'altes Georgien' da ist und eben sehr prägnant den Stadtkern erhält. Und auch die Schlucht mitten in der Stadt und der Wasserfall hören sich irgendwie spannend an. Das wäre ein Reiseziel auf meiner Fernweh-To-Do-Liste *_*

    Liebst,
    Aileen <3

  9. Ganz schlimm Fernweh-Alarm! Du hast echt wahnsinnig tolle Fotos mitgebracht. Dieser Gegensatz von alten, ein bisschen zerfallenen Häusern und moderner Architektur ist total spannend. Danke für's Teilen, ich freu mich auf den nächsten Georgien-Bericht! 🙂

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