Lebenslektionen

Ich bin mir immer nicht ganz sicher, ob ich sagen kann, dass mein Herz nach Abenteuer schreit. Eigentlich bin ich ein sehr vorsichtiger Mensch, jemand, der immer an alles denkt, was sein könnte, jemand, der versucht, alle Möglichkeiten einzukalkulieren und das Risiko abzuschätzen. Ich würde mich niemals trauen, freihändig Fahrrad zu fahren oder einen See zu durchschwimmen. Ich habe mir noch nie einen Knochen gebrochen und besitze auch keine Narbe am Körper, zu der ich eine haarsträubende Geschichte erzählen könnte. Doch andererseits reise ich auf eine Art und Weise, die viele Menschen erst mal schlucken lässt. Couchsurfing zum Beispiel, oder Mitfahrgelegenheiten, und das alles auch noch alleine. „Also ich würde mich das ja nicht trauen“, ernte ich da oft als Kommentar, oder auch „Hast du da keine Angst, dass etwas passieren könnte?!“. Habe ich nicht, und ich freue mich jedes Mal wieder aufs Ungewohnte, auf das, was ein bisschen Abenteuer ist, alles, was man nicht vorher planen kann. Trampen geht da vielleicht sogar noch einen Schritt weiter. Denn abgesehen davon, dass man vorher so gar nicht planen kann, was passiert, kennt man die Menschen nicht mal per vorheriger SMS, bei denen man ins Auto steigt. Und man kann nicht wissen, wo man letztendlich landen wird – ob man überhaupt da ankommt, wo man hinmöchte. Einer Freundin und mir wurde das letztes Wochenende sozusagen fast zum Verhängnis – und doch, dieses kleine fast hat in mir ein Gefühl hervorgerufen, das mir in meiner Zeit in Peru so bewusst war und das ich beinahe schon wieder vergessen hatte…

Von Jena kamen wir einigermaßen gut weg. Wir standen zwar ein Weilchen an der Straße, aber nachdem wir unser „Berlin“-Schild mit einem „Wir haben Kekse!“ ergänzt hatten, nahm uns jemand mit, der lustigerweise sogar ein Jahr über mir Geographie studierte – so wurde natürlich erst mal schön über die verschiedensten Dozenten gelästert. Lustig fand ich auch seine Aussage, warum er uns mitgenommen hatte: „Ich hab noch nie jemanden als Tramper mitgenommen. Aber alleine fahren ist so schrecklich langweilig!“ Bevor er von der Autobahn abfahren musste, ließ er uns auf dem nächsten Rasthof raus. Dort standen wir keine drei Minuten, bevor uns jemand von sich aus ansprach, der uns weiter in Richtung Norden mitnehmen konnte, aber nur an Berlin vorbeifuhr. Da er mir direkt sympathisch war und ich auch, ehrlich gesagt, keine große Lust hatte, weiter herumzusuchen, dachte ich nicht allzu sehr darüber nach. Ziemlich blöd, wie uns klar wurde, als wir irgendwo westlich von Berlin hingen und keine Ahnung hatten, wie wir in die Stadt hinein kommen konnten. Irgendwann setzte unser Fahrer uns auf einem Autohof ab, der sich gelinde gesagt am hinterletzten Arsch der Welt befand und dementsprechend wenig frequentiert war. Die wenigen Leute, die dort zum Tanken vorbeikamen, wohnten direkt in der Nähe, niemand fuhr nach Berlin. Langsam wurde es dunkel und wir machten uns ernsthafte Sorgen, wie wir jemals von dort wieder wegkommen würden – oder dort übernachten würden müssen. Glücklicherweise nahm uns letztendlich eine Frau mit bis zum Bahnhof im nächstgelegenen Ort. Dort fuhren zweistündlich Züge nach Berlin, und wir mussten auch nur etwa fünfzig Minuten bis zum nächsten warten. Passenderweise gab es an der Station keinen Ticketautomaten und wir trafen im Zug keinen Schaffner an, weshalb wir unser Ziel, kostenlos nach Berlin zu fahren, doch noch erfüllen konnten.

Das Gefühl, von dem ich spreche, ist das Gefühl, dass alles immer irgendwie funktioniert. Egal, wie auswegslos die eigene Lage erscheint, egal, wo man stecken geblieben ist, ob die Bankkarte leer ist oder die Tasche geklaut wurde, es gibt immer eine Lösung, und vor allem gibt es immer wunderbare Menschen, die einem dabei helfen, jede noch so blöde Situation zu überwinden. Das ist eines der Dinge, von denen ich sagen würde, dass ich sie in meinem Peru-Jahr gelernt habe, zwischen überbuchten Bussen, nicht funktionierenden Kreditkarten und unfreiwilligen nächtlichen Dschungelwanderungen. Ein Gefühl, das einem hilft, nach der ersten Panikattacke erst mal tief durchzuatmen und einfach zu vertrauen, auf sich selbst, auf andere, auf die Welt. Das einem zeigt, dass man, trotz all dem Mist, in den man sich hineinmanövriert hat, noch eine Chance erhält, es irgendwann mal besser zu machen. Und wie ich schließlich an dem Bahnsteig irgendwo in der brandenburgerischen Peripherie saß, die Stille genoss und mir den Sonnenuntergang ansah, hatte ich genau das gleiche Gefühl. Als würde sich das Schicksal, der Kosmos, der Zufall oder wie immer man es nennen will, kurz auf die Erde begeben, mir zuzwinkern und den Daumen nach oben zeigen: Alles klar, wir regeln das schon. Ein wunderbares Gefühl, das den meisten Abenteuern folgt und mein Herz ein bisschen schneller schlagen lässt. Und das für mich der Grund dafür ist, auf die Frage, ob ich mich selbst als abenteuerlustig bezeichnen würde, mit einem klaren ja zu antworten.

5 Gedanken zu “Lebenslektionen”

  1. Ach das Gefühl kenne ich, auch ohne ins Ausland gegangen zu sein. Aber irgendwie habe ich auch schon so viele Erfahrungen gmacht, dass sich das Gefühl tief verankert hat.

    Liebe grüße,
    Dani

  2. Du hast wieder einmal die perfekten Worte gefunden, zu einem Gefühl, das ich auch in gewisser weise kenne. Zwar bin ich nicht so abendteuerlustig (leider), zumindest was das Reisen in fernen Ländern angeht, aber ich habe auch schon ab und an die Erfahrung gemacht, dass es immer irgendwie weitergeht. Man wird ja nicht einfach so von der Erde verschluckt, oder so^^

    Lieben Gruß
    Melly

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