Sternschnuppensommer

Der Sommer… kann noch nicht vorbei sein!, sträubt es sich in mir, immer öfter inzwischen. Schon als ich den Titel der Blogparade „Hello, Autumn“ erblickte und noch mehr, als mir heute im Blumenladen bereits die erste Weihnachtsdeko ins Auge sprang. Jedes Jahr aufs Neue fällt es mir schwer, der kalten Jahreszeit irgendetwas abzugewinnen. Bunte Blätter, Schnee, gut und gerne, aber muss das wirklich sechs Monate lang so gehen? Einer würde mir völlig reichen – danach darf es gerne wieder warm werden…

Der Sommer hat etwas ganz Besonderes. Irgendetwas ist gerade zu Ende gegangen, ein Schuljahr, ein Semester, und wunderbare lange freie Tage liegen vor einem. Die Hitze lässt einen langsam träge werden und schmelzt die Zeit, so dass alles ein wenig langsamer läuft. Das Leben verschiebt sich von drinnen nach draußen, jeder freie Moment wird im Gras, im Sand, im Liegestuhl verbracht. Die Nächte werden länger und irgendwie erscheint alles ein bisschen magisch, wenn die Sterne über einem funkeln und die ganzen Pflichten in eine ferne Welt gewandert zu sein scheinen… Der Sommer ist wie ein endloser Urlaub, ein endloser Ausflug in die Natur oder ein endloses Festivalwochenende: Man vergisst alles um sich herum und fängt tatsächlich an, im Moment zu leben. Und wenn alles vorbei ist, kann man es erst gar nicht wirklich glauben. Der erste Herbstwind versetzt mich in ein Gefühl, nach langem freien Fall auf dem Asphalt aufzuschlagen.

Ihr seht, ich werde nostalgisch. Und das darf ich auch – denn das Online-Magazin TIWWL hat mich gefragt, ob ich nicht mein schönstes Sommererlebnis teilen möchte. Da gab es selbstverständlich ganz viele – aber eine Sache ist mir sofort in den Kopf geschossen, und zwar unsere Sternschnuppennächte.

Eigentlich sollte ich diesen Post wahrscheinlich gar nicht schreiben. Das Dach unseres Gebäudes ist zwar offen und relativ leicht erreichbar, aber wir warten immer den Zeitpunkt ab, ab dem das Auto des Hausmeisters nicht mehr auf dem Parkplatz steht, damit er uns nicht sehen kann. Falls er also zufällig gerne Lifestyle-Blogs durchstöbert, auf diesen Post stößt und die Adresse wiedererkennt, wird er vermutlich ein dickes Schloss vor die Dachluke hängen und unserem Sternschnuppensommer ein Ende bereiten.

Trotzdem – ich riskiere es. Ich wohne im dritten Stock, und wenn man die Treppe noch ein Stück hochsteigt und eine Luke herunterzieht, kann man auf einer dünnen Leiter bis ins Dachgeschoss steigen. Ein wenig Kletterkünste sind nötig, um dort ein Stückchen weiterzukrabbeln, eine zweite, wackligere Leiter hochzusteigen und ein Brett zur Seite zu schieben, doch dann ist man oben.

Unser Dach ist nicht sehr hoch, rundherum gibt es viele höhere Gebäude. Es ist auch nicht schön oder bequem oder bietet einen sonderlich tollen Ausblick. Eher im Gegenteil – man sieht in der einen Richtung die Straßenbahnschienen und in der anderen ein nachts derart grell orange beleuchtetes Gebäude, dass einem die Augen brennen. Doch legt man sich hin und guckt sich die Sterne an, ist das schon ein Erlebnis, vielleicht fünfzehn Meter über der Stadt, aber gefühlt Kilometer näher am Himmel.

So sind wir öfter auf dem Dach gelandet. Wenn eine Party gut war, um den Sonnenaufgang zu sehen, wenn sie schlecht war, um stattdessen die Sterne zu beobachten. Mal mit so vielen Leuten, dass ich schon Angst hatte, ob das Dach wirklich unser Gewicht halten würde, später auch zu zweit, Händchen haltend, immer näher aneinander rutschend. Bei uns immer eine Flasche günstiger Discounter-Wein, die die Runde machte und mit jedem Schluck annehmbarer schmeckte. Das einzige Sternbild, das wir jemals identifizierten, war wohl der Große Wagen, aber trotzdem erinnere ich mich an das eine oder andere nicht mehr ganz nüchterne und trotzdem furchtbar philosophische Gespräch über die Weite des Universums.

Wenn ich mir Sterne angucke, muss ich immer daran denken, dass ich mal irgendwo gehört habe, dass wir nur ein bereits vergangenes Bild der Sterne sehen können. Das Licht braucht so lange, um auf die Erde in unsere Augen zu kommen, dass das, was wir am Himmel sehen, schon längst tot, verschwunden, explodiert sein könnte, bevor wir es sehen. Ich komme mir dann immer ziemlich unsinnig vor und fange an, mich zu fragen, was es eigentlich soll, dass auf irgeneinem der so vielen Planeten irgendeiner der so vielen Galaxien wir durchs Leben tapsen und uns so unglaublich viele Gedanken über alles machen, nur um unser persönliches Glück zu finden…

Irgendwann in einer warmen Sommernacht war es dann so weit. „Eine Sternschnuppe!“, rief jemand aus, und alle Augen waren auf den Himmel gerichtet. Ich weiß nicht, wie viele Sternschnuppen ich in der Nacht gesehen habe und noch viel weniger kann ich mich daran erinnern, was ich mir alles gewünscht habe, aber selten hat sich ein Moment so besonders angefühlt. Was kann es auch besseres geben als alle paar Minuten ein neuer Wunsch, der ganz bestimmt in Erinnerung gehen wird? Und das in einer Zeit, in der mich bereits der Sonnenschein, der mich morgens aus dem Bett wirft, wunschlos glücklich macht?!

Ich glaube, ich sollte dankbar sein, für den wunderbaren Sommer, den ich erleben durfte, die entspannte, lustige, dramatische, manchmal achterbahnartige Zeit, die ich verlebt habe, für die unglaublichen Menschen, die mich dabei begleitet haben. Und mir vielleicht ein wenig Sommergefühl mit in den Winter nehmen. Wer sagt schließlich, dass man in einer klaren Winternacht nicht im Schneeanzug mit Decke auf dem Dach liegen kann?!

18 Gedanken zu “Sternschnuppensommer”

  1. Das klingt wunderschön mit den Sternschnuppen!
    Wir haben – dem Himmel sei gedankt – einen großen Garten. Und ich liebe es so sehr, abends/nachts auf einer Decke im hohen Gras zu liegen und die Sterne beobachten zu können.
    Das ist das, was für mich Sommer bedeutet… ♥

    Sehr sehr schön geschrieben! :))

    Das mit den Paradiesecken kenne ich auch. Viele Künstler sind auch sehr verschlossen oder griesgrämig – da ist es dann umso kostbarer, wenn diese Leute auch auf einen zugehen und etwas zu ihrer Kunst erzählen finde ich^^

    Lieben Gruß, Elske ♥

  2. Oooh, so ein toller Text 🙂
    Ich würde auch gerne aufs Dach, wenn ich denn die Möglichkeit hätte 🙂
    Das muss wirklich wunderschön sein, mit Wein und toller Begleitung!
    Und ich liebe den Sommer auch so und ja, ich kann deine Gedanken dazu echt unterschreiben, besser kann man es nicht sagen XD

  3. Vielen Dank für dein Kommentar!
    Das mit dem Druck war ganz schön blöd und ich habe erst im Nachhinein, also während der Pause, fesgestellt was denn eigentlich los war. Ich hoffe mal, dass ich das jetzt abgelegt habe! Im Moment habe ich, trotz des grauen Wetters, neue Ideen und die Motivation ist auch da, yay!

    Dein Text ist übrigens wunderschön geschrieben!
    Wir haben auch ein Dach, auf dem eine Freundin und ich uns immer mal treffen. Einfach zum reden, Sterne schauen (was oft zu philosophischen gesprächen fürt 😉 und nachtmittags manchmal zum lernen. Wenn ich so daran denke, werde ich ganz wehmütig. Ich mag den Herbst ganz gerne, aber ist es nicht ungerecht,dass der Winter oft fast ein halbes Jahr für sich beansprucht und alle anderen Monate aich aufteilen müssen?

  4. Ob man die Wiesn mag oder nicht, sie hat aber auf jeden Fall den Vorteil, dass man hier in München nicht direkt von Sommer auf Vorweihnachten umschaltet, sondern noch eine fünfte Jahreszeit dazwischen geschoben wird. Frühling, Sommer, Wiesn, Herbst und Winter.

  5. Toller Text! In der Türkei ist es übrigens völlig normal, die Sommerabende auf dem Dach zu verbringen. Jede Familie hat ein Eckchen für sich, jede Menge zu essen und trinken dabei, riesige Teppiche auf dem Beton… Durfte ich während meiner Tour auch mal erleben und es war so so schön! Der Blick über erleuchtete Häuser, direkt unter den Sternen – hach!
    Liebe Grüße
    Christiane

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