Sevilla eins

Sevilla, es war Liebe auf den ersten Blick.
Ein wenig hilflos trete ich aus der Busstation und warte auf meinen Couchsurfing Host, der mich abholen soll. Er ist ein paar Minuten zu spät, die sich wie Stunden anfühlen, und mir schießen alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Was, wenn er nicht kommt? Wo soll ich dann hin? Wo bin ich überhaupt? Doch natürlich kommt er. Johnny ist Venezolaner, plant gerade eine eigene Website und wir verstehen uns auf Anhieb. Am Abend gibt es Tapas auf der Alameda de Hercules, keine zwei Gehminuten von seiner Wohnung entfernt. Die Hitze erschlägt einen auch im Dunkeln noch. In Málaga wurde ich gewarnt, mich allzu weit von der Küste zu entfernen. Sevilla liegt mitten im Land, quasi direkt dahinter beginnt die Sierra Morena, und die Temperaturen pendeln zwischen 40 Grad tagsüber und 27 Grad nachts. „Zwischen 13 und 19 Uhr siehst du hier niemanden auf der Straße“, sagt Johnny dazu. Auf einigen Plätzen und über den Außenbereichen von Restaurants sind kleine Düsen installiert, die einen in regelmäßigem Abstand kalt ansprühen, ohne einen zu durchnässen. So lässt es sich dann doch einigermaßen leben.

Am nächsten Tag zeigt er mir den Alcázar, einen unglaublich schönen Palast mit einer riesigen, traumhaften Gartenanlage. Wir durchqueren ihn im Eilschritt und ich weiß jetzt schon, dass ich zurückkommen werde, um alles richtig auf mich wirken zu lassen. Am Nachmittag eine grandiose Nachricht: Johnny hat früher in einem Hostel gearbeitet und kann, da er die Angestellten kennt, dort jederzeit in den Pool hüpfen, der sich auf der Dachterrasse befindet. Ich komme mit und versinke im kalten Wasser. Wollte ich nicht möglichst viel sehen, die spannendsten Fotos mitbringen, möglichst krasse Dinge erleben? Hier schiebe ich all das in weite Ferne und lasse mich erst einmal treiben…
Sevilla empfängt mich mit genau dieser lockeren und entspannten Atmosphäre. Anders als Málaga, das modern, hektisch, groß, laut, stickig erschien, ist Sevilla eine alte und stolze Stadt. Beinahe jedes Gebäude sieht aus, als wäre es eigens dafür errichtet worden, zu gefallen, und nicht, um irgendeinen Zweck zu erfüllen. Überall kleine Details, bunte Fliesen, Orangenbäume. Einkaufsstraßen und Plätze werden immer wieder durchbrochen durch kleine Parks, Sitzbänke und Blumenbeete. Auf jeder Telefonzelle in Sevilla klebt eine Werbung mit dem Umriss einer Person. „Lehnen Sie sich hier an und genießen Sie die Magie des Ortes, der Sie umgibt.“, ist dort zu lesen, und ich nehme mir das zu Herzen.

Ich laufe viel, sehr mir alles an, besuche die Kathedrale. Immer wieder verweile ich irgendwo, sitze und schaue mir die Umgebung an. Sevilla scheint auch der richtige Ort, um ein kleines Lebenszeichen nach Hause zu schicken – auch, wenn das letztendlich erst weit nach mir ankommt. Ich kaufe eine ganze Menge Postkarten und gucke mich nach Souvenirs um. Esse Tapas und zum Frühstück Churros. Genieße das Tourist-sein.
An einem Abend bringt mich Johnny zu einer Flamenco-Show in der Carboneria. Ich hatte mir vor der Abreise eine kleine Liste für jede Stadt geschrieben, und freue mich, so einen der Punkte abhaken zu können. Flamenco hatte ich noch nie gesehen und war ziemlich gespannt. Wäre ich alleine losgezogen, ich wäre wohl in eine Touristenfalle getappt und hätte viel Geld gezahlt. So sitze ich in einem stickigen Raum mit einer kleinen Bühne und habe nur etwas für mein Bier ausgegeben. Neben spanischen Familien sitzen asiatische Touristen mit dicker Kameraausrüstung dabei. „Es ist nicht so, dass die Show schlecht wäre. Es ist nicht die beste, aber auch nicht die schlechteste“, sagt Johnny. „Nur die Tänzerin ist nicht so hübsch und ein bisschen dick.“ Auf der Bühne sitzen irgendwann zwei Männer, der eine mit Gitarre, und eine Frau, die eines dieser wallenden Flamenco-Kleider und eine Blume im Haar trägt. Es geht los mit Geklatsche und Gestampfe im Rhythmus. Irgendwann kommt die Gitarre dazu, dann der Gesang. Den finde ich ein wenig gewöhnungsbedürftig, gefühlt nicht immer hundertprozentig in der richtigen Tonart, dafür sehr ehrlich und dramatisch. Als die Frau anfängt, zu tanzen, richten sich alle Blicke auf sie. Flamenco hat so viel Ausdruck und Kraft, und die Tänzerin eine enorme Präsenz. Es liegt so viel Leidenschaft darin, auf eine traurige Art und Weise. Ab und an erschrecke ich mich, weil sie so fest mit den Füßen auftritt, dass ich denke, die Bühne müsse einstürzen. Alles wirkt so echt, so wenig einstudiert. Hinterher habe ich Gänsehaut.

Da mich Johnny nicht meine ganze Zeit in Sevilla beherbergen kann, beschließe ich, die letzte Nacht in dem Hostel zu schlafen, in dem ich ohnehin schon ein und aus ging (übrigens sehr zu empfehlen: Oasis Hostal. Gibts übrigens auch in Málaga, Granada, Toledo, Lissabon und Sintra.). Bevor ich ausziehe, lade ich ihn noch in eine peruanisch-japanische Tapasbar ein, die Nikkei Bar. Absolut empfehlenswert! Geringe Preise für tolles Ambiente, leckeres und vor allem sehr ungewöhnliches Essen. Sevilla ist schön, finde ich. Und verbringe den nächsten Tag quasi komplett am Pool, Postkarten schreibend und lesend. Ein wenig fühle ich mich schlecht, dass ich mich knapp zweitausend Kilometer von zu Hause entfernt befinde und trotzdem nichts allzu Spannendes, Einzigartiges mache. Doch der Tag tut mir mehr als gut und ich fühle mich tiefenentspannt. Abends laufe ich fast über eine Stunde zu einem weiteren peruanischen Restaurant, El Encuentro, das ein bisschen weniger schick und modern, aber dafür um einiges typischer peruanisch ist als die Nikkei Bar. Die Strecke dorthin lässt mich Sevilla noch mehr lieben. Denn selbst außerhalb des Stadtzentrums ist alles so unglaublich schön, entspannt und grün.
Auch nachts ist Sevilla beeindruckend. Es ist ziemlich viel los, auf den Straßen, in den Bars. Auf einem Platz fahren ein paar Leute Kunsstücke auf Inline Skates und haben eine Menge Zuschauer. Die meisten Sevillaner sind unglaublich schick angezogen, finde ich. Oder fällt das nur zwischen den ganzen Touristen so auf?
Im Hostel teile ich mir durch Zufall ein Zimmer mit zwei Französinnen, die die selbe Mitfahrgelegenheit wie ich nach Lissabon nehmen. Meinen letzten Tag in Sevilla verbringe ich im Alcázar, bei dessen ersten Besuch ich mir die Rückkehr ja schon vorgenommen hatte. Ich bin ganz schön traurig darüber, dass meine Zeit in Sevilla zu Ende geht. Außerdem habe ich ein bisschen Angst. In Spanien kann ich mich schließlich ohne Probleme verständigen, wie würde das in Portugal aussehen? Und würde es mir dort überhaupt so gut gefallen? Sevilla und ich, das war schließlich Liebe auf den ersten Blick.

17 Gedanken zu “Sevilla eins”

  1. Deine Bilder sind sehr schön geworden und versetzen mich zurück zu meiner eigenen Reise vor ein paar Jahren.
    Wir sind zu zweit mit dem Auto durch Andalusien gefahren und haben auch in Sevilla einen Stop eingelegt. Ich war von der ersten Minute verliebt. Stolze Stadt trifft es wirklich sehr gut. Ich fand besonders die Nacht in Sevilla toll, überall Stimmen in den Gassen, lebhaft aber nicht hektisch, da habe ich mein Herz endgültig verloren.

    Liebe Grüße
    Nina

  2. Wow, die Bilder sind ja mehr als gelungen! Besonders die Licht/Schatten-Effekte find ich ganz wunderbar. Passen auch so gut zu der im Text beschriebenen Stimmung, sich einfach mal treiben zu lassen – das muss eben auch mal sein und tut sooo gut…
    Liebe Grüße
    Christiane

  3. Ich weiß nicht, wieso man auf Reisen immer das Gefühl hat, dass man etwas Tolles erleben muss, etwas Außergewöhnliches. Alleine, dass du dich ohne Begleitung auf diese Reise gemacht hast und diese ganzen Eindrücken sammeln konntest, ist doch schon toll 🙂 Da ist es dann auch egal, ob man den Tag nur mit Fotografieren verbringt, um den Einheimischen möglichst viele Bilder zeigen zu können, oder ob man sich mal einen Nachmittag freinimmt vom Tourist-Sein und lieber etwas in einem Pool rumdümpelt. Ich denke, eine Reise besteht aus beidem 🙂

    liebe Grüße,
    Petra

  4. Da bin ich mal eine Woche weg und du haust hier einen tollen Post nach dem anderen raus. Und bei solch tollen Posts ist es doch klar das ich sie verlinke. 😉
    Ich werde mich dann mal durch die anderen Posts lesen.

  5. Du hast grad meine Sehnsucht nach Spanien entfacht *__* ich lern Spanisch in der Schule und werde es jetzt auf jeden fall im Studium weitermachen 🙂
    Deine Spontane Reiseart, mit Couchsufing und Hostels klingt viel aufregendes als normale Hotels 🙂
    Und übrigens ich find nicht dass man immer super aufregende Sachen machen muss, schönes zu erleben reicht doch vollkommen oder? und ehrlich gesagt find ich couchsurfing schon zieemlich aufregend 🙂

    1. Ohh, das freut mich sehr 🙂 Südspanien ist ein Traum! Wobei ich zugeben muss, dass ich Spanisch immer mit dem Blick auf Lateinamerika gelernt habe 🙂
      Couchsurfing ist auch echt tausend mal toller als Hostels – man lernt tolle Leute kennen und erlebt immer wieder was Neues.

  6. Klasse Bilder, da kommt sofort Fernweh auf 🙂 Bisher habe ich es leider noch nicht nach Sevilla geschafft, das südlichste Spanienziel für mich war Denia – übrigens auch sehr hübsch und am Meer gelegen! Liebe Grüße

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