Projekt Fernweh: Einleitung

„Weißt du noch, wie das war, als wir nicht nur Touristen, sondern Reisende waren?“,

fragt ein junger Mann sein 20 Jahre älteres Zukunfts-Ich in einem Werbespot des peruanischen Tourismusministeriums. Ich runzle die Stirn, und denke über mein Leben in Peru nach. Erinnere mich an meine Reisen, durchs Land und durch die Stadt, die ich Glückliche ein Jahr lang meine Heimat nennen durfte, denke auch an den einen oder anderen Touristen (oder Reisenden?), den ich getroffen habe. Sie stammten aus ganz verschiedenen Ländern, hatten ganz verschiedene Ziele und dementsprechend auch verschiedene Arten, zu reisen. Und als ich noch in Peru war, habe ich über sie alle, egal, ob Backpacker oder Luxus-Touristen, ein bisschen die Nase gerümpft. Fast so, als wäre ich verärgert darüber, dass sie in „mein“ Land eindringen, und ganz sicher so, als wüsste ich alles besser. Wer kein Wort Spanisch sprach, war bei mir ohnehin schon unten durch, und für Touris mit geringem Wissen über Land und Geschichte hatte ich kaum mehr als ein Kopfschütteln übrig.

Ich sehe es immer noch ein bisschen kritisch, dass viele vor allem junge Europäer, Nordamerikaner und Australier nach Lateinamerika strömen und auf der Suche nach dem angeblich „authentischen“, naturverbundenen, schönen, idyllischen Leben der dortigen Einwohner ihre Augen vor den tatsächlichen Problemen des Landes verschließen. Klar, Urlaub soll immer auch eine Zeit der Entspannung und des Kennenlernens von Neuem, von Unterschieden und der kleinen Kulturschocks sein, aber wer in Länder des globalen Südens reist, trägt meiner Meinung nach auch die Verantwortung, die dortigen Probleme und Konflikte mit ein bisschen gesundem Menschenverstand zu betrachten und diesen Menschenverstand dann auch, gepaart mit ein bisschen kultureller Sensibilität, in das eigene Verhalten einfließen zu lassen. Aber darum soll es in diesem Text gar nicht gehen.

Stattdessen um das vietnamstämmische US-amerikanische Paar, über dessen klitzekleine und leichte Rucksäcke ich mich gewundert habe. Die beiden hatten jahrelang für eine Weltreise gespart und sich von einem Teil des Budgets mit Multifunktionskleidung eingedeckt, um immer so flexibel wie möglich zu sein. Und um den Deutschen, der bei mir „gecouchsurft“ und als Dank mitten in der Nacht meinen Laptop repariert hat. Sein Rucksack war ungefähr so groß wie er selbst und enthielt bestimmt zwanzig Kilo allein an Technik-Ausstattung. Genauso um einen amerikanischen Couchsurfer, der viel länger bei uns wohnte als geplant, und uns trotzdem mit jedem Tag mehr ans Herz wuchs. Er reiste irgendwann nach Cusco weiter, wo er jedoch nie Machu Picchu sah, sondern stattdessen in einem Hostel arbeitete und Spanisch lernte. Um einen belgischen Fotografen, der in Lima die peruanische Küche entdecken wollte. Um zwei Freunde aus Colorado, die nach Lima in Richtung Süden reisten, um in der Region Ica bei Wiederaufräumarbeiten nach dem letzten großen Erdbeben zu helfen. Um Hippies, die fast ohne Wechselkleidung, dafür aber mit Gitarre reisten.

Und was will ich mit dieser riesigen Aufzählung sagen? Dass ich mittlerweile verstanden habe, dass jeder ein neues Land auf seine ganz eigene Art und Weise erkundet, sich vor der Reise ein ganz eigenes Wissen aneignet, ganz andere Ziele verfolgt und letztendlich auch ganz andere Erfahrungen mit nach Hause nimmt. Ich bin mir sicher, dass ich Peru, oder auch Lima, ganz anders beschreiben würde als jeder der oben genannten 😉 Und dass ich mittlerweile, zurück in Deutschland, ein bisschen Frieden gefunden habe, was all das angeht. Ich halte mich nicht mehr für „besser“ als andere, nur weil ich anstatt vier Wochen zwölf Monate in Peru war, wie ich das zugegebenermaßen vorher getan habe. Ich denke stattdessen daran, in wie vielen Ländern ich nur für ein oder zwei Wochen (oder sogar nur für einen Tag war), welche Erfahrungen ich dort gemacht habe, wie ich hinterher darüber gesprochen habe. Und stelle mir eine Deutsche vor, die am jeweiligen Ort ein ganzes Jahr verbracht hat, und was sie über meine Erfahrungen denken würde. Und vor allem rufe ich mir ins Gedächtnis, was ein einjähriger Lateinamerika-Aufenthalt für ein unglaubliches Privileg für mich war.

Ich schaue mir noch einmal den Werbespot an, und sehe, wie der junge Mann im Video verschiedene touristische Orte abklappert. Dazwischen fährt er Motorrad durch einsame Landschaften und hat einige Begegnungen mit Einheimischen – alte Männer mit traditionellen Mützen. Er spielt mit Kindern Fußball, übernachtet in der Wüste und fährt auf einem kleinen Boot durch einen Dschungelfluss. Was er unternimmt, macht mich neidisch. Ich bin zwar durch ähnlich verlassene Landschaften gefahren, allerdings mit dem Sammeltaxi und unterwegs zu Ruinen in der Wüste. Meine peruanischen Freunde und Bekannte tragen Jeans und T-Shirt, und außer ein paar Kochrezepten habe ich nichts von weisen Alten gelernt. Ich habe zwar mit Kindern Gärten angelegt und zusammen gemalt, sah dabei aber bestimmt nicht so wohltäterisch und hoffnungsvoll aus wie er beim Fußballspielen. Ich habe nie in der Wüste gezeltet und bin nur einmal auf der Ladefläche eines Pick-Ups durch den Dschungel gebraust – wobei ich durch Dauerregen wohl eher elend als frei aussah und mir hinterher eine fette Erkältung holte. Meistens war ich nicht alleine, sondern in Begleitung, und wenn ich mal aus Lima herauskam, um ein bisschen Urlaub zu machen, waren für mich Erholung und ein wenig Kultur doch wichtiger als das Schließen neuer Freundschaften. Ich habe nicht nur einmal einen Peruaner, der mich ansprach, mehr oder weniger freundlich darum gebeten, mich in Ruhe zu lassen. Und spätestens nach ein paar Monaten konnte ich peruanisches Essen für eine Zeit lang nicht mehr sehen und wurde ab und an Kundin bei McDonalds und Pizza Hut. Scheiße, denke ich mir, was hast du eigentlich gemacht. Und rufe mir dann wieder ins Gedächtnis, dass das ja doch nur eine Werbung war. Letztendlich bleibe ich ein bisschen verwirrt zurück.

Sind wir, bin ich, jetzt Reisende oder Touristin? Und wovon hängt das Ganze ab, wo ist die Trennlinie? Ist das eine überhaupt etwas Negatives, das andere etwas Positives? Und wenn man selbst glücklich ist damit, was man tut, hat das Ganze dann überhaupt eine Bedeutung?

Ich hoffe, ich habe euch mit diesem Text nicht allzu sehr überfordert und ihr versteht ein bisschen, worum es mir geht. Die Quintessenz dieses Artikels ist allerdings, euch zu sagen, dass das Projekt Fernweh nun startet! Nächste Woche dürft ihr die ersten Artikel lesen 🙂 Einsendungen werden selbstverständlich immer noch gerne entgegen genommen, einfach eine Mail an mich!

Am Dienstag geht es zunächst in die USA, genauer gesagt nimmt uns Nicole mit nach Tennessee. Freitag wird uns Jana mit auf eine kleine Rundreise durch Spanien nehmen. Die Woche darauf geht es dann noch einmal in die USA, diesmal mit Alisa, und nach Irland, denn Ina berichtet von Dublin.

6 Gedanken zu “Projekt Fernweh: Einleitung”

    1. Mit viel Glück werde ich da ab August ein Auslandssemester machen. Wir haben dort seit kurzem eine Partneruni und die Chance will ich natürlich nutzen, eine so andere Kultur mal hautnah kennenlernen zu können 🙂

  1. Ich weiß nicht, ob dieses Programm noch läuft, aber wenn du möchtest, kann ich mal was über Frankreich oder Australien, wo ich jeweils drei Monate gelebt habe- Schüleraustausch, also auch in einer Gastfamilie. Ich finde die Serie auf jeden Fall sehr spannend 🙂

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